• TOUR 88 – HANAU-STEINHEIM/DIETESHEIMER STEINBRÜCHE

    Es sind nicht immer nur die besonders ins Auge fallenden, vordergründig schönsten Stellen, die einen Abdruck in meiner Erinnerung hinterlassen. Oft genug sind es auch die eher verborgenen, stillen, manchmal beinahe unscheinbaren Orte, die mir dauerhaft und unverrückbar im Gedächtnis bleiben, und zwar nicht etwa nur als verwaschene, sich allmählich auflösende Silhouette, sondern deutlich wie am Tag danach, einen zeitlosen Zauber ausübend. Auch auf meiner heutigen Wanderung mit Jana von Hanau-Steinheim am Main entlang und zu den Dietesheimer Steinbrüchen gibt es ein paar Situationen, die zu solch einer unauslöschlichen Erinnerung werden könnten. Eine davon ist der Blick – buchstäblich im Vorbeigehen – auf das Olof-Palme-Haus in Kesselstadt. Schon der allererste…

  • TOUR 87 – VON LANDSTUHL NACH BRUCHMÜHLBACH-MIESAU

    Es ist immer so eine Sache, wenn man sich dazu entschließt, eine Wanderung zu unternehmen, bei der man auf nahezu jegliche Vorbereitung verzichtet, auf Hilfsmittel wie GPS, Karten usw. sowieso. Man muss sich entweder darauf verlassen, dass die Strecke gut ausgeschildert ist, oder darauf, dass sich schon irgendwie eine Lösung finden wird, falls das nicht der Fall sein sollte. Es hat Touren gegeben, da war von vornherein absehbar, dass mich diese Herangehensweise in Schwierigkeiten bringen würde. Ich bin sehr oft nicht auf der ursprünglich vorgesehenen Route ans Ziel gekommen. Oder erst nach hundert Umwegen. Oder ich war gezwungen, während der Tour das Ziel völlig neu festzulegen. Vorausgesetzt, man ist körperlich…

  • TOUR 86 – NOHENER NAHESCHLEIFE

    Es kann kaum eine tiefere Stille geben als die auf einem leeren Bahnsteig am Rande eines winzigen, wie ausgestorben wirkenden Dorfes irgendwo im Niemandsland. Es ist eine fragile Stille, man hat den Eindruck, dass schon das geringste Geräusch kilometerweit zu hören wäre, aber sie ist so gegenwärtig, als sei sie ein Bestandteil von allem, was man sieht. Ungefähr diese Art von Stille ist es, die mich in Nohen empfängt, kaum dass ich aus dem Zug gestiegen bin. Vielleicht ist da deshalb gleich vom ersten Moment an dieser Eindruck einer besonderen Ausgewogenheit, vielleicht erfüllt sich auch nur irgendeine unbewusste Erwartungshaltung, jedenfalls könnte ich mir kaum einen besseren Ausgangspunkt für eine Wanderung…

  • TOUR 85 – VON WIEBELSKIRCHEN NACH SCHIFFWEILER

    Es hat schon Tage gegeben, an denen es weitaus verlockender war, kilometerweit draußen herumzulaufen. Es ist trübe und kühl, von Sommer keine Spur. Dichte Wolkencluster nehmen beinahe den ganzen Himmel ein. Sie bringen ein seltsames, wächsernes Licht hervor, fast wie an einem nebligen Wintermorgen. Je länger man den Himmel betrachtet, desto schwerer fällt es zu glauben, dass irgendwann in den nächsten ein, zwei Stunden sommerliche Helligkeit Einzug halten wird, und sei es nur für ein paar Minuten. Ich habe es kaum erwarten können, wieder aufzubrechen. Ob es hell oder stockfinster ist, ob warm oder lausig kalt, das spielt heute eine untergeordnete Rolle. Aufbrechen, das war in den letzten Wochen und…

  • TOUR 84 – VON HERXHEIM AM BERG NACH BAD DÜRKHEIM

    Der Tag ist warm und hell, exakt so, wie es sich bereits Stunden zuvor erahnen ließ, als die kühle, noch von Dunkelheit eingerahmte Dämmerung sich von Atemzug zu Atemzug mehr in einen stillen, klaren Morgen verwandelt hat. Mehr Frühling als heute geht kaum. Da ist dieser Himmel, weit und offen, schon lange kein morgendlicher Himmel mehr, sondern ein leuchtender Mittagshimmel, bis fast zum Rande des Blickfeldes sieht man alles gestochen scharf, nur die Horizontlinie selbst sieht aus wie ein Saum aus dunstiger Gischt. Da ist dieses frühlingshafte Grün überall, Bäume, niedrige Hecken, Weinhänge, Wiesen, man hat beinahe das Gefühl, den Geschmack von Grashalmen auf der Zunge zu spüren oder den…

  • TOUR 83 – 20 KILOMETER DURCHS MITTLERE UND NÖRDLICHE SAARLAND

    Unterwegssein, das ist zur Zeit eine sehr eingeschränkte Angelegenheit. An irgendeinen beliebigen Ort fahren und dort herumwandern, so weit die Füße tragen, das gehört fürs Erste der Vergangenheit an. Spaziergänge von drei oder von fünf Kilometern, die noch vor wenigen Wochen banaler Alltag waren, sind zu etwas Besonderem geworden, eine Wanderung von 20 Kilometern, wie ich sie heute im Sinn habe, hat beinahe schon etwas Epochales. Nicht nur die Selbstverständlichkeit des Normalen ist dahin, sondern auch die Selbstverständlichkeit des Besonderen, von dem wir oft schon gar nicht mehr gemerkt haben, dass es etwas Besonderes ist. Meine Wanderung beginnt mit dem allerersten Schritt zur Haustür hinaus. Es sind die ersten Tage…

  • TOUR 82 – PRIMSTALER PANORAMAPFAD UND WARKEN-ECKSTEIN-WEG

    Mittwoch, 18. März. Mit jedem Tag, den die Corona-Krise anhält, wird sie gegenwärtiger und unwirklicher zugleich. Gegenwärtiger, weil die täglichen Zahlen von Neuinfektionen und von Toten – so abstrakt sie auch erscheinen mögen – eine Art Maßstab für die Größe der Gefahr darstellen, unwirklicher, weil die Selbstverständlichkeit einer jahrzehntelang gewohnten Normalität gerade in Nullkommanichts erodiert. Man kommt sich vor wie in einem Realität gewordenen dystopischen Film. In wenigen Tagen, vielleicht sogar schon innerhalb der nächsten 24 Stunden, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit drastische Ausgangsbeschränkungen angeordnet werden. Wandern wird dann wohl nur noch sehr eingeschränkt möglich sein, wenn überhaupt. Mehr als je zuvor ist das Unterwegssein deshalb ein Anker, etwas Stabiles in…

  • TOUR 81 – VON EDENKOBEN NACH NEUSTADT AN DER WEINSTR.

    Es wird eine Zeit geben, in der uns diese Tage der Pandemie im Rückblick vielleicht noch unwirklicher erscheinen werden als im Augenblick. Eine Zeit, in der wir uns nicht mehr vorkommen werden, als wären wir Statisten in einer Realität gewordenen Dystopie. Eine Zeit, in der auch das Unterwegssein wieder selbstverständlich sein wird. So selbstverständlich wie die Morgendämmerung am Ende der Nacht, so selbstverständlich wie das Aufeinanderfolgen der Jahreszeiten und die Existenz der Sonne. Im Moment jedoch sind wir mittendrin. Es ist Samstag, der 14. März, und es gibt seit vielen Tagen, anschwellend wie eine unbesiegbare Riesenwoge, nur ein einziges Thema, nämlich DAS VIRUS. Nichts anderes scheint mehr zu existieren. Es…

  • TOUR 80: GEISLINGEN AN DER STEIGE – FILSTALGUCKER

    Es ist wieder einmal ein Windtag. Allerdings keiner dieser Windtage, an denen unaufhörlich graue Böen über die Anhöhen fegen und Schneisen in die Wälder schlagen und an denen man allein schon am ohrenbetäubenden Lärm des Sturms dessen zerstörerische Kraft zu erahnen vermag. Von dem irgendwann unweigerlich einsetzenden Regen gar nicht erst zu reden. Es ist kein wirklich kalter Wind, nichts, das seine allerersten Ursprünge irgendwo in der Tundra Sibiriens oder über dem Nordatlantik gehabt hat, aber eine angenehme Frühlingsbrise ist es auch nicht gerade. Es ist eben so ein Mittelding, das man nicht vermissen würde, wenn es nicht da wäre, das aber auch nicht besonders stört. Die Uhr gegenüber dem…

  • TOUR 79 – SCHRIESHEIM – SCHAUENBURG – SCHRIESHEIM

    Es muss so eine Art Bestimmung sein. Das Gehen, meine ich. Etwas, das wie eine phönizische Amphore oder ein keltischer Armreif lange Zeit irgendwo vergraben liegt, irgendwann aber gefunden wird, und von da an weiß man um sein Vorhandensein und es wird nach und nach so selbstverständlich, als wäre es immer schon da gewesen. Vielleicht ist es auch in den Genen zahlloser Ahnen angelegt und wurde über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg weitergetragen wie eine Fackel, die mit jedem Mal heller brennt, keine Ahnung. Jedenfalls ist da irgendetwas, das manche dazu bringt, Tag für Tag lange Strecken zu Fuß zurückzulegen und oft Dutzende von Kilometern immer einen Schritt vor den nächsten…

  • TOUR 78: SAARBURG – SAAR-LEUKTAL-PANORAMAWEG

    Saarburg liegt unter einer dicken Schicht zerklüfteter Wolken. Es regnet. Ein dünner, milder Regen, der alle Konturen verschwimmen und der die Distanzen geringer erscheinen lässt. Steingrau der Himmel. Man kommt sich vor wie in einem Raum, in dem die Wände sich aufeinander zubewegen. Die Häuserzeilen entlang der Saar wirken wie in einen dünnen Kokon aus Regen und Nebel hineingewoben, hier und da sticht ein hellerer Farbton hervor, im Fluss spiegelt sich eine fahle Wolkenlandschaft. Es ist weder kalt noch winterlich, es ist einfach nur grau und nass. Die Straßen sind nicht gerade belebt. Auf meinem Weg vom Bahnhof zur Innenstadt begegnet mir nur vereinzelt mal ein Fußgänger. Sogar der Marktplatz…

  • TOUR 77: NIEDALTDORF/SAARLAND – GRENZBLICKWEG

    Es ist einer dieser staubgrauen Tage, an denen das Grau nicht nur oberflächlich vorhanden ist, sondern an denen es aus der Tiefe der Erde emporzusteigen scheint und an denen man sich des Gefühls nicht erwehren kann, dass man die Sonne wochenlang nicht mehr zu sehen bekommen wird. Der Himmel hängt tief und dunkel über den Häusern. Dem Auge fehlen irgendwie die Farben. Überall dieses stumpfe, konturenlose Gewaber, als würde man durch eine blinde Scheibe nach draußen blicken. Es ist Anfang Januar, aber man könnte beinahe meinen, es sei November. Auch heute bin ich wieder mit Jana unterwegs. Während wir vom Bahnsteig am Rande von Niedaltdorf in den Ort hinunterlaufen, wird…

  • TOUR 76 – VON WACHENHEIM NACH NEUSTADT AN DER WEINSTRAßE

    Eine Wanderung zu planen kann eine aufwendige Sache sein, auch wenn man nicht gerade einen mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Trip auf dem Pacific Crest Trail oder irgendwo am Nordkap in Angriff zu nehmen beabsichtigt. Es genügt schon eine längere Tagestour, sofern man seine eigene Route entwirft und diese womöglich nicht nur aus beschilderten Wanderwegen besteht, sondern aus allem, was irgendwie ein halbwegs begehbarer Pfad, eine halbwegs begehbare Straße ist. Bei Mehrtagestouren ist der zeitliche Aufwand für die Planung naturgemäß noch höher, selbst dann, wenn man bereit ist, sich spontanen Entschlüssen oder gar der Regie des Zufalls zu überlassen. Die Detailplanung der ersten vier Marienwegetappen kostete mich zwei volle Tage und…

  • TOUR 75: HASSEL/SAARLAND – HÜTTENWANDERWEG

    Das Erste, was ich wahrnehme, als ich auf den Bahnsteig trete, ist dieses Flimmern. Ein Flimmern beinahe wie an einem heißen Hochsommertag irgendwo am Horizont über dem aufgeheizten Asphalt einer Landstraße. Erst nach und nach füllt sich mein Blickfeld mit Konturen: Ein uraltes Bahnhofsgebäude, das im Gegensatz zu vielen anderen uralten Bahnhofsgebäuden aber keine allmählich sich atomisierende Ruine ist, Wohnhäuser, zwei Straßen. Am Rande des Bildausschnitts leuchtende Farben, Herbstfarben genauer gesagt. Am Morgen noch ist alles grau gewesen wie an einem Nebeltag in den schottischen Highlands, genau das also, was man vom November erwartet. Jetzt aber ist der Himmel ganz hell, ohne jeden Anflug von Eintrübung, und wenn ich Glück…

  • TOUR 74 – VON OBERNHOF NACH DAUSENAU

    Da ist dieser eine Moment, beinahe schon auf den letzten Metern der Wanderung, dieser nicht sofort wieder endende, sondern fortdauernde Moment, der aus der Stille und Weite des Himmels zu erwachsen scheint, der voller Leichtigkeit ist und voller Gelassenheit, wie vom Wind fortgetragenes Herbstlaub, dieser eine Moment, der sich anfühlt, als würde er all die vergangenen Stunden umfassen, den Aufbruch, das Unterwegssein, die Worte, die Bilder, die Empfindungen, und der zugleich so gegenwärtig ist wie ein in den Handrücken geritztes Tattoo. Es geschieht nichts in diesem Moment, was die Erde aus ihrer Umlaufbahn katapultiert oder auch nur die den Horizont begrenzenden Hügel ein paar Meter nach hinten oder vorne versetzt,…

  • TOUR 73 – VON LAUTERECKEN NACH WOLFSTEIN

    Am Anfang ist nicht das Wort, nicht einmal der Gedanke. Am Anfang ist nur ein Gefühl. Das Gefühl, aufbrechen zu wollen. Oder, wenn das ein zu großes Wort sein sollte, losgehen zu wollen. Mit welchem Ziel, zu welchem Zweck, das ist in diesem Stadium erst einmal nicht von Belang. Aber wenn man es wirklich ernst meint, dann ist es vom ersten Moment an ein Gefühl, das beinahe schon einem Entschluss gleichkommt. Ich jedenfalls empfand von Beginn an eine Art unverrückbare Gewissheit, dass das Gehen keine rasch vorübergehende Laune sein würde, sondern etwas Dauerhaftes. Die Gründe zu wandern sind vermutlich so unterschiedlich und zahlreich wie Kieselsteine an einem Flusslauf, aber die…

  • TOUR 72 – BECKINGER SAARBLICKE & LITERMONT-SAGENWEG

    Wenn man so will, beginnt der Prolog der heutigen Wanderung drei Jahre zuvor an einem dieser windigen, sonnigen Oktobertage, die noch beinahe ebenso viel vom Sommer haben wie vom Herbst, und die man allein schon deshalb bis zur letzten halbwegs hellen Minute genießen will, weil es nicht mehr lange dauert, bis die nebelgrauen Krähentage Einzug halten. Er beginnt auf einem schmalen Bahnsteig, der aus dem Nichts zu kommen und ins Nichts zu führen scheint und bei dem man schon im allerersten Moment den Eindruck hat, dass man nur ein paar wenige Schritte weit gehen muss, um in eine entlegene Waldidylle zu gelangen, in der es nichts gibt außer dem Hämmern…

  • TOUR 71: LAROCHETTE/LUX. – EXTRA-TOUR A DES MULLERTHAL-TRAILS

    Im Grunde ist es einfach. Je weniger Zwang, je weniger Dringlichkeit, je weniger sich selbst auferlegte Vorgaben, desto befreiter wird das Gehen. Man kann sich vom ersten Schritt an in eine Abhängigkeit von Daten und Zahlen begeben, man kann das Wandern zu einer tabellarischen Angelegenheit von Kilometern, Geschwindigkeiten und Koordinaten machen, so dass es beinahe nur noch eine Begleiterscheinung und nicht mehr die Hauptsache ist. Oder man kann … loswandern. Im Extremfall mit nichts anderem als einem Weg unter den Füßen, genügend Wegzehrung und einer gesunden Selbsteinschätzung darüber, was man sich zutrauen kann. Im Idealfall – der vermutlich selten dem Extremfall entspricht – mit nicht mehr als dem, was man…

  • TOUR 70 – BESSERINGEN -WEHINGER VIEZPFAD – CLOEF

    Eines ist bereits von Beginn an klar – heute muss ein Rädchen ins andere greifen, wenn ich nicht Gefahr laufen will, in ein unbeherrschbares Chaos hineinzugeraten. Okay, das ist natürlich etwas übertrieben, denn ich plane schließlich keine Wanderung durch irgendeine unwegsame Wildnis hundert Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt. Aber nichtsdestotrotz gibt es einige Punkte, die sich im Laufe der heutigen Tour als heikel erweisen könnten. Das liegt einfach in der Natur der Sache, wenn man eine Tour von mehr als 50 Kilometern ohne Karte und ohne GPS in Angriff nimmt. Die Länge einer solchen Wanderung allein katapultiert mich schon – im Vergleich zu einer von zehn oder fünfzehn…

  • TOUR 69/2. TAG – VON LAURENBURG NACH OBERNHOF

    Zweiter Tag. Als Wanderer wird man nach und nach zu einer Art Sammler. Man sammelt Landschaften, man sammelt Wege, man stattet seine Erinnerung buchstäblich Schritt für Schritt, Blick für Blick mit Bildern und Empfindungen aus, man erschafft sich eine eigene Landkarte mit unverwechselbaren Erinnerungsorten und Erinnerungspfaden. Allein schon deshalb liegt es in der Natur der Sache, dass man ständig nach Neuem Ausschau hält, nach Wegen, die man noch nicht gegangen ist, nach Landstrichen, die man höchstens von Fotos kennt, nach Städten, Wäldern, Regionen, die man erkunden, durchstreifen, von denen man innere Bilder abspeichern will, die man hernach noch eine ganze Weile mit sich trägt, manche sogar für immer. Der Reiz…

  • TOUR 69 – VON BALDUINSTEIN NACH OBERNHOF, 1. TEIL

    Erster Tag. Wir brechen spät auf zu dieser Wanderung, erst gegen halb vier Uhr am Nachmittag. Der Sommer steht unmittelbar bevor und in den Straßen ist es drückend wie in einer Waschküche des frühen 20. Jahrhunderts. Der Himmel ist ein Block aus weißem Licht, weit und hoch. Später wird immer mehr und immer dunkleres Blau sich darüber ausbreiten, fast schon eine Ahnung von Spätsommer mit sich bringend, aber es wird die ganze Zeit warm und trocken bleiben und erst irgendwann am Abend, kurz nach Sonnenuntergang, wird der Himmel plötzlich wie ein glatter, grauer Steinboden sein. Jana, mit der ich auch heute wieder unterwegs bin, kennt die Gegend genauso wenig wie…

  • TOUR 68 – HEIDELBERG: KÖNIGSTUHL – KOHLHOF – SCHLOSS

    Selten hatte ich zu Beginn einer Tour eine weniger konkrete Vorstellung davon, was mich erwarten könnte als diesmal. Das gilt zumindest für den größten Teil der Wanderung, nämlich so ziemlich für jeden einzelnen Schritt von dem Moment an, als wir uns von der Bergbahnstation Königstuhl aus auf den Weg machen bis zu jenem Augenblick, als wir ein paar Stunden später nach einem planlosen, aber großartigen Erkundungsmarsch durch den Heidelberger Stadtwald fast exakt an unseren Ausgangspunkt zurückkehren und uns dann über die Himmelsleiter auf den Weg zum Schloss hinunter machen. Wie bei allen meinen Neckartouren bin ich auch heute mit Jana unterwegs. Am Aussichtspunkt auf dem Königstuhl suchen wir uns erst…

  • TOUR 67: VON OCHSENFURT NACH KITZINGEN

    Manchmal gibt es keinen richtigen Anfang. Man geht in der Erinnerung bis zu einem bestimmten Punkt zurück, und dann geht man weiter zurück und noch weiter, vielleicht sogar bis dahin, wo Erinnerung kaum noch mehr ist als ein fast lichtloser Canyon oder ein Höhlengebilde, in dem nichts mehr als vergessene, verschüttete Gänge und Stollen existieren, und das einzig Verlässliche, auf das man dabei stößt, ist die simple Erkenntnis, dass der Anfang, nach dem man gesucht hat, nicht exakt zu bestimmen ist. Ungefähr so geht es mir mit dem Marienweg. Da ist natürlich der Tag, an dem ich den allerersten Schritt der allerersten Etappe gemacht habe. Das war vor gut zwei…

  • TOUR 66 – VON IDAR-OBERSTEIN ÜBER DEN HILDEGARDWEG & DEN KUPFER-JASPIS-PFAD NACH FISCHBACH

    Es gibt Wanderungen, bei denen buchstäblich vom ersten Schritt an eine unbändige und durch so gut wie nichts zu beeinträchtigende Freude vom Kopf bis hinunter in die Zehenspitzen pulsiert. Es ist, als sei irgendwo im Körper ein Mechanismus in Gang gesetzt worden, der für einen ununterbrochenen Nachschub an positiven Empfindungen sorgt. Das hat nichts mit übersteigerter Erwartungshaltung zu tun, es hat nicht einmal unbedingt überhaupt etwas mit irgendeiner Art von Erwartung zu tun, sondern es ist eine Freude, die sich an sich selbst nährt und sich ganz auf den Augenblick und höchstens noch auf die nächsten Minuten konzentriert. Heute ist so ein Tag. Ich bin in einer Stimmung, die vermutlich…

  • TOUR 65 – VON MILTENBERG NACH AMORBACH

    Erster Teil: Weiß Das Weiß ist nicht überall. Der milchige Schimmer zum Beispiel, der über dem Main liegt, ist nicht weiß. Er ist nicht weiß und nicht silbern und nicht blau und doch von allem etwas. Er ist wie der allerletzte, feine Überrest eines Nebelgespinstes, das von der Morgendämmerung noch geblieben ist und das sich nun endgültig verflüchtigt. Obwohl es bereits halb zehn ist, hat man dadurch den Eindruck, als sei es noch ganz früh am Morgen. In erster Linie ist das Weiß am Himmel und jenseits der Hügel. Es bewirkt ein unaufdringliches, fast behutsames Licht, das nach und nach immer heller wird. Ganz aber löst sich der Dunst nicht…