Wandertouren

TOUR 99 – SIERSBURG/IDESBACHPFAD

Alte Wege und Straßen üben eine gewisse Faszination aus. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil ein winziges Stück Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht, ein schwacher Widerhall längst vergessener menschlicher Existenzen und ihrer Handlungen und Gedanken.
Man kann Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende in der Zeit zurückgehen und stößt irgendwie immer auf irgendetwas, das mal ein Weg oder ein Pfad gewesen ist und das von Händlern, Soldaten, Pilgern, Hirten, Bauern, Nonnen oder wem auch immer genutzt wurde.
Man könnte beinahe sagen, Wege verbinden nicht nur Orte miteinander, sondern in gewisser Weise auch Epochen, sie sind Anker in die dunkle, ferne, fremdartige Realität vergangener Zeiten.

Ein Teil der Faszination besteht womöglich auch darin, dass solche alten Wege und Pfade die Vergangenheit oft zwar erhellen, dass sie vielleicht sogar helfen, das eine oder andere Rätsel zu lösen, dass aber vieles im Dunkel oder zumindest in einem unsicheren, geheimnisvollen Halbdunkel verbleibt, dass mitunter sogar die Lösung eines Rätsels ein neues Rätsel hervorbringt.

Man muss jedoch gar nicht einmal sehr weit in die Vergangenheit zurückreisen, um auf Wege zu stoßen, die Einblicke in völlig fremd gewordene Lebensalltage gewähren. Ein verhältnismäßig kleiner Sprung über zwei, drei Generationen hinweg genügt und schon befinden wir uns in einer Zeit, in der noch viele Menschen weite Strecken zu Fuß zurücklegen mussten, um zu ihrer Arbeitsstelle oder zumindest zu einem Verkehrsmittel zu gelangen, das sie zu ihrer Arbeitsstelle transportieren konnte.
100, 150, 200 Jahre zurück in der Zeitrechnung und wir können den Spuren von Bergarbeitern folgen, die mit ihren schweren Stiefeln 20 und mehr Kilometer weit zu den Gruben liefen, wir können die Reisebewegungen umherwandernder Handwerkergesellen nachvollziehen, wir sehen Grasmäher und andere Wanderarbeiter auf ihrem Weg an die Orte, wo sie Arbeit zu finden hofften und so weiter.
Gut möglich, dass irgendwann in ferner – oder vielleicht auch gar nicht mal so ferner – Zukunft die Wanderwege, die ich heute gehe, ebenfalls eine halb im Verborgenen liegende Historie haben werden, die irgendjemand erkunden und nachvollziehen will.

Der Idesbachpfad, den ich mir für meine heutige Tour ausgesucht habe, hat meines Wissens noch keine solche historische Komponente.
Irgendwo hier in der Gegend verliefen aber immerhin mehrere mittelalterliche Handelsrouten, u. a. die Flandernstraße, die in der reichen Kaufmannsstadt Brügge ihren Ausgang nahm und bis nach Italien führte.

Es ist Frühling, später April.
Der Frühling ist aber bei weitem noch nicht so weit vorangeschritten wie in den vergangenen Jahren. Das Gras am Wegrand ist noch ganz kurz, die meisten Bäume kahl wie nach einem letzten, heftigen Herbststurm.
In den letzten Wochen war wenig zu spüren von diesem Frühling, aber heute ist das anders.
Der Himmel ist lagunenblau, nirgends eine Wolke.
Man sieht nichts außer diesem Blau.
Er ist ganz still, ein Ozean aus Stille.

Fast genau auf den Tag vier Jahre zuvor bin ich den Idesbachpfad schon einmal abgewandert.
Ich weiß noch, dass ich mich damals an manchen Stellen fühlte, als sei ich in einen Kaninchenbau gefallen oder in einen Kleiderschrank gestiegen und am anderen Ende in einer Fantasywelt gelandet.
Idyllische Pfade, die sich schmal wie Schnüre über wie in den Wald hineingezeichnete Stege wanden, eine kleine Schlucht – hier Grät genannt –, deren ursprüngliche Unwegsamkeit sich problemlos erahnen ließ, ein beinahe zugewachsener Saum unter einer überhängenden Felswand hindurch – wenn das frühlingshafte Wetter sich bis zum Nachmittag hält, kann ich mich auf ein paar sehr angenehme Wanderstunden freuen.

Im Augenblick denke ich aber nicht weiter darüber nach, was in einigen Stunden sein wird, sondern mache mich erst einmal auf den Weg.
Vom Bahnsteig in Siersburg aus habe ich nicht mehr als einen knappen Kilometer bis zum Start des Idesbachpfades zurückzulegen, keine Entfernung für jemanden, der ohnehin vorhat, mehrere Stunden durchs Gelände zu wandern.

Mir kommt der englische Romantiker William Wordsworth in den Sinn, der in seinem Leben enorm viel gegangen und gewandert sein soll, mehr als 200 000 Kilometer. Da habe ich ja noch so einige Fußmärsche vor mir, um das zu schaffen.
Natürlich gab es damals keine Autos oder sonstigen motorisierten Gefährte, aber um beispielsweise zu seinem mehrere Kilometer entfernt wohnenden Dichterkollegen Samuel Coleridge zu gelangen, hätte Wordsworth auch einfach auf ein Pferd steigen und hinreiten können. Stattdessen ging er oft zu Fuß hin und wenn Coleridge nicht anwesend war, trat er eben wieder den Heimweg an.
Coleridge seinerseits lief einmal an irgendeinem Tag des Jahres 1797 rund 60 Kilometer zum Anwesen von Wordsworth, nur um dort zwei oder drei Tage zu verbringen.
Vielleicht hätten die beiden meine heutige Wanderung als zielloses Umherstreifen betrachtet, wer weiß.
Allerdings bin ich heute für meine Verhältnisse ziemlich festgelegt. Ich habe einen Startpunkt, der zugleich auch das Ziel darstellt, und ich habe eine Route, die ich exakt einzuhalten gedenke.

Ich verfolge diesen Gedanken jetzt nicht weiter, sondern richte meine Konzentration wieder auf die Gegenwart.
Im Unterschied zu der vorhin erwähnten Tour vor vier Jahren mache ich diesmal keinen Abstecher zur oberhalb des Ortes gelegenen Burg, sondern schlage den direkten Weg zum Idesbachpfad ein.
Kurz hinter der Bahntrasse muss ich einmal abbiegen, danach brauche ich nur der Straße und dem sich daran anschließenden Spazierpfad zu folgen, dann bin ich auch schon da.

Der Weg führt bergan.
Erinnerungsblitze von dunklem, dichtem Nadelwald leuchten hinter meiner Stirn auf, aber auf den ersten Schritten ist der Wald sehr hell und lichtdurchlässig.
Ich spüre von Beginn an die Geduld des Gehens.
Keine behäbige, erstarrte Geduld, die alles, was geschieht, irgendwie hinnimmt, sondern das stille, sichere Gefühl, dass die Dinge ihre Zeit brauchen, wenn man zu Fuß unterwegs ist.
Der Pfad trägt das Seine dazu bei.
Besonders steil ist der Anstieg zu Beginn nicht, aber er hat auch so schnell kein Ende und sofort danach folgt gleich schon der nächste.

Beinahe unmerklich wird es um mich herum dunkler.
Auf dem Weg verschwinden die hellen Flatterschatten, nur noch einzelne Lichtflecke, die aussehen wie leuchtende Honigwaben, sind hier und da zu sehen.
Die Hänge wirken plötzlich wie schwarze Schildkrötenpanzer.
Der sonnige Frühlingstag ist aber immer noch da, nur eben jenseits der Bäume.
Das Ganze ist aber nur ein kurzes Intermezzo. Schon bald kehrt das Licht in den Wald zurück und das Schatten-Licht-Schatten-Spiel beginnt wieder.

Fernblicke sind heute eher selten.
Manchmal kann ich zwischen dünnen Baumspitzen hindurch den Blick in eine von flachen Hügellinien begrenzte Ferne richten.
Ziemlich zu Beginn sehe ich beinahe unmittelbar unterhalb meines Standortes die Dillinger Hütte, deren Gründung in die Zeit Ludwigs XIV. zurückreicht und die Anfang des 19. Jahrhunderts das erste deutsche Unternehmen war, das Aktien herausgab.
Wenig später erhasche ich in der beinahe exakt entgegengesetzten Himmelsrichtung einen kurzen Blick auf die schon erwähnte Siersburg, deren Gründung natürlich erheblich weiter zurückliegt als die der Dillinger Hütte und die im Gründungsjahr der Hütte 1685 längst eine Ruine war.

Es ist ein guter Tag zum Wandern.
Nicht zu warm und weit entfernt von kalt.
Die Wege trocken, kein grelles, in den Augen brennendes Sonnenlicht, aber auch kein finsterer Regentag.
Alles an seinem Platz, alles irgendwie vertraut.

Für den Nachmittag ist ein kleiner Wetterumschwung angekündigt, von der Sonne wird dann wohl nur noch wenig zu sehen sein und vielleicht wird es sogar Regen geben.
Im Augenblick dreht der Frühling aber erst einmal richtig auf.
Splitterndes Licht auf Blattspitzen, der Himmel eine leere, helle Fläche über den Bäumen.
Eine Windhand schiebt die Schattenvorhänge beiseite und dadurch scheint plötzlich der ganze Wald in Bewegung zu geraten, aber nach einer Weile ordnet sich alles wieder und es gibt so gut wie keine Regung mehr, die Schatten sind wie mit dem Erdboden verwachsen.
Unter den Bäumen ein grauer Bunker, wahrscheinlich einer der zahlreichen noch vorhandenen Bunker, die Teil des von den Nazis errichteten Westwalls waren.

Der Weg führt weiter beinahe ununterbrochen bergan.
Unter den Bäumen den Hang hinauf ist es mit einem Mal dämmrig wie kurz vor Tagesanbruch.
Wenige Schritte später taucht vor mir oder vielmehr neben mir ein fast völlig von Kletterranken eingenommenes Felsmassiv auf.
Ein Pfad führt zu dem Massiv hinauf und irgendwo weiter oben dann daran vorüber oder darunter hindurch, so genau ist das von hier nicht zu erkennen.
Ich bleibe stehen.
Mal ganz abgesehen von dem ein wenig zur Seite geschobenen Absperrgitter und dem Warnschild „Gefährliche Wegstrecke“ sieht es auch ganz und gar nicht so aus, als hätten in letzter Zeit viele Leute diesen Pfad benutzt.
Man muss ihn auch gar nicht benutzen, wenn man nicht will, sondern kann einfach auf einem breiten Waldweg geradeaus weitermarschieren.
Bei meiner ersten Tour habe ich den Weg durch das Felsmassiv gewählt und ich fand ihn weder besonders anspruchsvoll noch irgendwie gefährlich, aber seitdem können sich die Dinge natürlich geändert haben.

Eine Minute lang schaue ich mir alles so genau an, wie es von da, wo ich stehe, überhaupt möglich ist.
Dann mache ich mich an den Aufstieg, im Kopf jedoch die ganze Zeit ein gelbes Alarmsignal. Bei der allerersten Ahnung von irgendwas, das nach Gefahr aussieht, werde ich umkehren und den Umweg in Kauf nehmen.

Auf älteren Fotos dieser Passage ist ein intaktes Holzgeländer zu sehen, davon sind aber nur noch ein paar Reste ganz zu Beginn vorhanden.
Wachsam stapfe ich halb zugewachsene Treppenstufen hinauf. Weiter oben ist der Pfad auf ein paar Meter durch herabströmendes Wasser nass und schlammig. Danach folgen wieder ein paar Stufen, die aber eher nach dem Zufallsprinzip angeordnet sind und die einfach im Nichts zwei Meter über der Fortsetzung des Pfades enden würden, nur dass man das Nichts immerhin mit einer Leiter überbrückt hat.
Nachdem ich die Leiter hinabgeklettert bin, wandere ich unmittelbar an einer Felswand entlang, die von herabhängenden Pflanzen wie von Spinnweben überzogen ist. Das Sonnenlicht streift nur den oberen Teil der Felswand, so dass der Pfad, auf dem ich gehe, grau und lichtlos in der Luft zu hängen scheint.

An einer Stelle, an welcher der Pfad und die angrenzende Böschung nicht mehr so recht zu unterscheiden sind, hat man ein paar Planken hingelegt.
Aber auch diese Stelle erweist sich nicht als knifflig und danach folgt nur noch ein kurzes Stück Felswand, ehe mich fünfzig oder sechzig Stufen zurück auf den Hauptweg bringen.

Ich nähere mich jetzt dem meiner Erinnerung nach schönsten Abschnitt des gesamten Wanderweges.
Es ist natürlich so eine Sache mit Erinnerungen.
Nie kann man sich wirklich sicher sein, wie nahe sie der Realität kommen.
Wenn wir uns an einen Ort erinnern, an den wir nie wieder zurückkehren, ist das vielleicht kein großes Problem. Unsere Erinnerung kann den Ort völlig verfälschen, sie kann aus einem trostlosen Nest am Rande des Weltalls ein Paradies machen, es spielt keine Rolle, denn unsere falsche Erinnerung wird niemals mit der Realität konfrontiert werden.
Wenn wir aber doch irgendwann einmal zurückkehren an einen solchen Ort, dann ist es unausweichlich, dass die Substanz unserer Erinnerung auf die Probe gestellt wird.

Im Kopf habe ich die Bilder eines über einen oder zwei Kilometer hinweg sehr schmalen Pfades, auf dem man dahingleiten konnte wie ein Boot mit der Strömung, weil es keinerlei Anstiege gab, sondern höchstens kleine Senken und Kuppen, über die der Schwung des Gehens einen ganz leicht hinwegtrug. Ich erinnere mich der malerischen Stege, die von Zeit zu Zeit in den Pfad eingefügt waren, ohne dass sie den Fluss des Gehens unterbrachen, und dann dieser hellen, durchlässigen Blättervorhänge, die auch alles Übrige ganz hell erscheinen ließen. Manchmal verlief der Pfad kaum merklich um kleine Biegungen und Kurven, manchmal war er nur ein langer Korridor, zweihundert, dreihundert Meter weit schien er einfach in der Luft aufgehängt, von nichts gehalten als von den Schatten, und bei der nächsten Krümmung, hinter der er sich den Blicken entzog, rollten die Schatten aus wie kleine Wellen.

Es dauert nicht allzu lange, bis ich überprüfen kann, ob sich die Erinnerung mit der Realität von heute deckt. Allzu große Abweichungen erwarte ich eigentlich nicht, zumal heute ein ebenso freundlicher Frühlingstag ist, wie es damals einer war.

Ich kann es kurz machen – die Realität übertrifft die Erinnerung sogar.
Es ist alles noch vorhanden – der schmale Pfad, die Stege, die winzigen Senken und kleinen Biegungen, dazu viele Dinge, die mir nicht im Gedächtnis geblieben sind.
Alles ist im Grunde wie damals und trotzdem zugleich neu und unverbraucht.

Kilometer 8 des Idesbachpfades.
Ich bin zurück auf einem eher unscheinbaren Waldweg, aber ich habe mich noch gar nicht so richtig daran gewöhnt, da folgt schon der nächste kaum mehr als fußbreite Pfad.
Ein Augenblinzeln später wird mir bewusst, dass sich das helle Frühlingslicht ganz plötzlich beinahe völlig verflüchtigt hat, fast so, als sei von einer Sekunde zur nächsten die Dämmerung hereingebrochen.
Ich befinde mich zwischen hohen, steilen Böschungen, die Bäume oben auf den Hangplateaus scheinen eher dem Himmel als der Erde anzugehören, und es ist still wie im Winter.

Im Weiterlaufen sehe ich links eine breite Schneise, die sich den ganzen Hügel hinaufzieht und die wohl Sturm und Regenfälle geschlagen haben.
Ein paar Schritte weiter ein Chaos aus zerborstenen Bäumen und von wie ins Erdreich hineingeschraubten Felsen.
Hier irgendwo ist vor mehr als 160 Jahren ein Pastor aus einem der umliegenden Dörfer abgestürzt und ums Leben gekommen, weshalb diese Schlucht den Namen Pastorengrät bekommen hat.

Mit Sicherheit hat es damals hier noch um einiges wilder ausgesehen, falls die Schlucht – oder die Grät – überhaupt zugänglich gewesen ist.
Ich habe zwar ein paar steile Stufen hinaufzusteigen und muss unter einem umgestürzten Baum hindurchklettern, aber das ist auch schon alles. Oben klopfe ich mir ein wenig Staub von der Hose und dann setze ich meine Wanderung fort.

Es hat sich etwas verändert.
Der Wald ist zwar immer noch hell, aber ganz allmählich schleicht sich so ein bleiches Grau in die Helligkeit, von dem jetzt schon absehbar ist, dass es bald die Oberhand gewinnen wird.
In den nächsten Minuten laufe ich noch ein paar Stufen hinab und hinauf, während die Umgebung stetig trüber wird und die Frühlingsfarben um mich herum immer mehr ausbleichen.
Dunkle Wolkenfelder sammeln sich über den Baumwipfeln.

Auf einem einsam am Waldrand entlangführenden Weg werde ich mit einem Mal einer Stille gewahr, die sich wie eine unsichtbare Schicht über die Landschaft legt.
Es ist beinahe eine Stille wie zwischen Nacht und Morgendämmerung.
Sie hält minutenlang an und löst sich erst auf, als ich längst wieder im Wald bin.

Die Sonne hat sich mittlerweile vollkommen verabschiedet, genau, wie es in den Vorhersagen angekündigt war.
Eine Weile komme ich noch in den Genuss flacher und fast schon verwinkelter Pfade, dann aber folgt ein langer, an Serpentinen erinnernder Abstieg. Zum Glück ist der Boden knochentrocken, sonst hätte ich ein paar gar nicht so ungefährliche Stellen zu bewältigen.
Der Idesbachpfad ist auf keinen Fall ein Wanderweg für Leute, die sich im Grunde nur ein bisschen die Beine vertreten wollen, das steht fest.
Deshalb wundere ich mich ein wenig, wie viele erkennbar untrainierte Wanderer mir begegnen.
Erst im Nachhinein kommt mir die Idee, dass manche von denen vielleicht gar nicht auf dem Idesbachpfad unterwegs waren, sondern auf dem teilweise identischen „Gisinger“, einem erheblich kürzeren und sicher auch leichteren Pfad.

Es dauert nicht lange und ich bin wieder im Tal, aber nicht da, wo ich erwartet habe.
Irgendwo um Kilometer 15 herum muss ich ein einziges Mal unaufmerksam gewesen sein und eine falsche Richtung eingeschlagen haben. In 300 Metern Entfernung sehe ich den Ortsrand von Siersburg, allzu weit bin ich also nicht vom Weg abgekommen.
Nach rechts zweigt ein kleiner Steg ab, an dem ich eigenartigerweise das Wandersymbol des Idesbachpfades entdecke. Es handelt sich jedoch um eine Zusatzschleife, auf die ich durch den kleinen Irrweg zufällig gestoßen bin, nicht um den eigentlichen Idesbachpfad.

Ich beäuge den Himmel.
Er zeigt ein stumpfes, weißliches Grau, das verdammt nach in Kürze einsetzendem Regen aussieht.
Aber mir ist noch nach ein paar Kilometern Wandern, also stapfe ich kurz entschlossen über den Steg hinüber.

Der Pfad führt in ein verträumtes Wäldchen hinein und hernach über einen offenbar von vielen Wanderschuhen ausgetretenen, schön in die Landschaft drapierten Wiesenpfad.
Danach fühle ich mich für einen oder vielleicht auch zwei Kilometer an den Beginn des Idesbachpfades versetzt.
Wieder diese Treppenstufen, wieder diese kleinen Stege, wieder diese rinnsalartigen Pfade.

Nach einer knappen Stunde lande ich wieder dort, wo ich die Zusatzschleife in Angriff genommen habe.
Der Himmel sieht mittlerweile aus wie die verrostete Motorhaube eines Autowracks.
Die Lufttemperatur ist gegenüber heute Mittag um mehrere Grad gefallen.
Es beginnt zu regnen, erst dünne Fäden, dann aber stärker und stärker.

Abschluss.
Ich wandere einen Asphaltweg auf Siersburg zu.
Vom Ortsrand aus habe ich vielleicht noch einen Kilometer bis zum Bahnhof zurückzulegen.
Der Regen hat die Leute in ihre Häuser vertrieben.
Die Kirchturmuhr zeigt erst 17 Uhr 50, aber in den Straßen ist es grau und dunkel.
Fast könnte man meinen, die Dämmerung habe schon eingesetzt.

8 Comments

  • HG Schnur

    Sehr gut abgestimmter Text, ein Textpfad mit vielen kleinen Verzweigungen sozusagen. Und anscheinend einen der wenigen Frühlingstage in letzter Zeit erwischt.

    Danke & viele Grüße
    HG Schnur

  • Jana

    Auch diese Tour ist in deiner ganz eigenen Art wieder so wunderbar beschrieben und harmonisch mit Fotos bestückt, dass ich beim Lesen große Lust auf den Idesbachpfad bekam. Diese Passagen mit den Holzstegen und -treppen muten wie ein Märchenwald an – fantastisch! Es hat sich sicher sehr gelohnt, diese Tour nach vier Jahren noch einmal zu gehen. Erfahrungsgemäß entdeckt man ja ohnehin immer Neues, auch wenn man bekannte Wege mehrfach geht.

    Liebe Grüße
    Jana

    • gorm

      Vielen Dank, liebe Jana.:-) Ich hatte zwar noch jede Menge in Erinnerung, aber die am Ende erwähnte Zusatzschleife kannte ich noch gar nicht – und gerade die war richtig klasse. Im letzten Jahr hat es einige Wanderwege gegeben, die ich von früheren Touren kannte, und da habe ich tatsächlich manches entdeckt, was mir beim ersten Mal gar nicht so aufgefallen war. Wahrscheinlich ist das ähnlich wie bei einem Film, den man mehrmals sieht.

      Liebe Grüße für dich
      Torsten

  • Yv

    Ich stimme Waabe zu, es ist ganz was anderes als das, was man gewohnt ist. Die Texte sind lang und man muss sich Zeit nehmen, aber es macht Spaß, darin zu lesen.

    Danke und Grüße,
    Yv

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