TOUR 3: EIN ROTER FADEN, TEIL 2
Hannover: „Roter Faden“ – Maschsee – Ricklinger Kies-
teiche – Bahnhof
Nachdem wir uns auf die vorbestellten ebikes geschwungen
haben, geht es so rasch wie möglich zurück zum
Neuen Rathaus, dem Punkt, an dem wir unsere Tour eine
knappe Stunde zuvor unterbrochen haben.
Im Laufe der nächsten Stunden werde ich eine Über-
raschung erleben: Ich werde das Fahren mit dem ebike
nämlich so sehr zu schätzen lernen, dass ich kaum noch
absteigen will. Ich werde das Gefühl haben, zu einer
nahezu perfekten Mensch-Maschine-Einheit zu mutieren,
die „geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufzubrechen“,
wie Marinetti es vor über einem Jahrhundert in seinem
Futuristischen Manifest formulierte.
Gut, sobald ich den Motor abstelle, ist es damit
schlagartig vorbei und ich muss ziemlich in die Pedale
treten, um nicht zu einem wandelnden Verkehrshindernis
zu werden. Dass einmal eine Frau mit im Wind flat-
terndem Mantel auf einem uralten, kaum als Fahrrad
zu erkennenden Vehikel mühelos an uns vorbeizieht,
wirft einen allerdings nicht allzu dunklen Schatten auf
meine Begeisterung.
Insgesamt jedoch wird mein Fazit am Ende dieses Tages,
was die ebikes betrifft. sehr positiv sein.
Dass das Fahren auf dem „Roten Faden“ sich als recht
mühselig erweist, da wir oft vor lauter Absteigen und
Umkurven von Hindernissen kaum vorankommen, haben
wir einkalkuliert und deshalb stört es uns nicht weiter.
Ein flüchtiger Blick in eine längst vergangene Zeit
Eine der visuell und zugleich auch atmosphärisch
ansprechendsten Örtlichkeiten der Tour ist die
Schlossbrücke.
Für einen Moment ist es, als hätte man an einem
Ring gedreht, der einen flüchtigen Blick in eine
längst vergangene Zeit erlaubt. Die Brücke wäre
keine schlechte Kulisse für einen Fechtkampf auf
Leben und Tod.
Beeinträchtigt, um nicht zu sagen zerstört wird die
Illusion allerdings durch ein Ruderboot, das gerade
unter der Brücke hindurchgleitet. Die roten Rettungs-
westen der Ruderer sehen nicht gerade nach 17. Jahr-
hundert aus.
Kurz darauf befinden wir uns auf dem Ballhofplatz.
Er liegt da wie eine entlegene Insel in einem rauschenden
Meer von Lärm und Hektik. Die Wogen des nachmit-
täglichen Straßenverkehrs fluten daran vorüber, ohne ihn
zu erreichen. Menschen mit Muße sonnen sich auf Liegen
oder schlendern, offensichtlich von jedem Zeitdruck be-
freit, darüber hin.
Ungefähr eine halbe Stunde lang geben auch wir uns
der Entschleunigung hin, werden zu beobachteten Beob-
achtern.
Ein paar Ecken weiter sind wir dann aber wieder mitten
im Geschehen. Wir fahren in gemäßigtem Tempo durch
die mal mehr, mal weniger belebten Gassen der Altstadt.
An einer engen, unübersichtlichen Stelle kann ich gerade
noch einem drei- oder vierjährigen Kind ausweichen,
das mitten im Getümmel auf dem Straßenpflaster hockt.
Die unmittelbar danebenstehende Mutter hat dazu nichts
weiter zu bemerken als: „Siehst du, die Leute müssen dir
alle ausweichen!“
Ein größerer Teich
In uns erwacht nun der Wunsch, unseren ebikes endlich
die Sporen zu geben. Wir verzichten darauf, uns noch
zum Kröpcke, dem großen, zentralen Platz Hannovers,
zu begeben und machen uns stattdessen auf in Richtung
Maschsee.
Genau genommen ist der Maschsee nicht viel mehr als
ein größerer Teich. Er hat eine Fläche von knapp 0,8
km² und ist damit rund 34000 Mal kleiner als der Große
Sklavensee, der zweifellos als richtiger See durchgeht.
Dafür gibt es am Maschsee mehr Jogger und Spazier-
gänger. Es wimmelt geradezu davon.
An einer schattigen Stelle machen wir eine Rast und
überlegen, wie wir weiter vorgehen.
Ursprünglich stand zur Debatte, eine „Route 2“ genannte
Radtour vom Maschsee nach Bredenbeck zu machen, einem
Ort im Umland Hannovers, aber dafür reicht die Zeit nicht
mehr.
Wir beschließen also, einfach ohne konkretes Ziel noch ein
wenig durch die Gegend zu fahren.
Gesagt, getan.
Nachdem wir den Maschsee hinter uns gelassen haben,
biegen wir rechts ab und geraten in ein Geflecht ver-
zweigter Wege, dem wir uns im Großen und Ganzen aufs
Geratewohl überlassen.
An den Ricklinger Kiesteichen vorüber, an einer Lauben-
kolonie, an Feldern, die im matter werdenden Licht des
allmählich zu Ende gehenden Tages still und einsam
wirken.
Verharren, den Abend atmen.
In einem „Naturwald“ scheuchen wir unsere ebikes dann
noch über einen schmalen Pfad voller Wurzeln, Laub
und Ästen. Dem Zusammenstoß mit einem quer im Weg
liegenden Baumstamm entgehe ich nur durch ein wag-
halsiges Ausweichmanöver. Einen faustgroßen Stein
mitten auf dem Pfad erwische ich jedoch voll. Einen
Moment fürchte ich, dass es einen der Reifen zerfetzt,
aber es geschieht gar nichts.
Christian, der Freund, mit dem ich unterwegs bin, hat
sein ebike geschrottet. Na ja, nicht ganz. Der Motor
seines Rades hat den Geist aufgegeben und damit
ist natürlich genau die Situation eingetreten, die auf keinen
Fall eintreten sollte.
Aber wir sind ohnehin am Ende unserer Tour an-
gelangt und kehren in aller Ruhe zum Bahnhof
zurück.
4 Comments
White Rambler
Hannover ist immer eine Reise wert.
gorm
Kann ich nur bestätigen. Gilt allerdings auch für viele andere, nicht so bekannte Städte.
Ursula Dahinden-Florinett
Es war super, dass du noch ein wenig mehr von Hannover erzählt hast. Ich habe gegoogelt und die Flugaufnahme von Maschsee mit den Kiesteichen gesehen. Es war bestimmt schön dort zu verharren und die Abenddämmerung zu geniessen.
gorm
Es war für mich ja auch so ein wenig eine Reise in die Vergangenheit, deshalb habe ich meinen Aufenthalt dort doppelt genossen.:-)