Wandertouren

TOUR 30 – BHF KIRN – WILDGRAFENWEG HOCHSTETTEN-DHAUN

Vor Beginn dieser Tour hatte ich eigentlich nur einen einzigen Wunsch, nämlich, dass es eine von Anfang bis Ende unkomplizierte Wanderung werden soll. Ohne epische Umwege, ohne wie ein Wasserfall herabstürzende Regengüsse, ohne Windböen, gegen die ich anzukämpfen habe, und wenn es irgendwie geht, auch mit einem Himmel, der nicht die ganze Zeit aussieht wie ein alter Stofffetzen.

Die ersten gut fünf Kilometer der Wanderung sind vernachlässigbar. Ich stiefele vom Bahnhof in Kirn aus an der Landstraße entlang nach Hochstetten-Dhaun und dort einige mehr oder weniger steile Straßen hinauf bis zum Start des Wildgrafenweges.

Der Wildgrafenweg beginnt als fußbreiter Pfad unterhalb einer Landstraße.
Zunächst noch Schatten, dann aber befinde ich mich plötzlich im Zentrum einer Lichtexplosion.
Flutendes, flimmerndes, flirrendes Licht.
Kaskaden aus Licht.
Eine Brandung aus Licht.
Ich verharre, ein paar Augenblicke lang.
Sehe zu, wie die Schatten immer weiter zurückgedrängt werden und zugleich immer neue Lichtmuster entstehen, zerfallen und wieder entstehen.
Über mir ein Himmel von schimmerndem, makellosem Meeresblau.
Ich gehe weiter, steige breite Stufen empor, lasse mich einfach in dieses Leuchten und Flirren hineintreiben. Eine Kugel, angefüllt mit Wohlbehagen, zerplatzt in meinem Kopf.

An Weiden vorüber trotte ich in den Wald und zugleich in eine wohltuende Abgeschiedenheit hinein. Es ist ein Weg zum Durchatmen, zum Glätten von Alltagsstressfalten.
Zwischen den Bäumen hindurch blicke ich auf Hügel und ein Dorf in hellem Licht, in dem selbst die noch immer winterkahlen Bäume nicht länger wie skelettierte Finger wirken.

Eine ganze Weile bewege ich mich durch einen aus  langer Winterstarre erwachten Vorfrühlingswald, dann trabe ich über Asphalt, biege aber schon nach 100 Metern auf einen breiten Feldweg ab.
Rechts ein Hang, erst sanft, dann ziemlich steil ansteigend.
Wiesen.
Irgendwo ein Hochsitz.
Links sonnenbeschienene Weiden, Bäume, dann ein Bach.

Ich gehe etwas rascher.
Wahrnehmungen, manche flüchtig und unscheinbar und sofort wieder ins Vergessen absinkend, manche zu manifesten Erinnerungen werdend.
Es herrscht keine vollkommene Stille, doch die unterschwelligen Geräusche von überallher werden von mir beinahe als Teil der Stille wahrgenommen.

Der Weg führt wieder in den Wald hinein.
Kurz darauf überquere ich – nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal an diesem Tag – eine Landstraße und dann stapfe ich auf offenem Gelände eine Weile bergauf.
Nach dem Desaster bei der letzten Tour finde ich es sehr beruhigend, dass der Weg hervorragend ausgeschildert ist. Ich bin guter Dinge, mich diesmal nicht zu verlaufen, aber so ganz kann ich die Stimme nicht zum Verstummen bringen, die mir – genährt aus dem jahrtausendealten Erfahrungsschatz der Menschheit – zuflüstert, dass man den Tag nicht vor Schlag Mitternacht loben soll.

Blick in die Ferne.
Hügel, in einem weißlich schimmernden Dunst sich verlierend.
Nach all den Wochen und Monaten der eng begrenzten Horizonte und der Nebelvorhänge genieße ich das jetzt so richtig.
Es wird nicht der letzte Fernblick dieses Tages bleiben.

Plötzlich Radiolärm.
So laut, als sollten akustische Signale zur Aufspürung von Außerirdischen in den Weltraum gesendet werden.
Der Lärm kommt aus einem einsam gelegenen Haus schräg gegenüber von meinem Standort.
Ich mache, dass ich weiterkomme.
Zum Glück führt der Weg von dem Lärm weg und nicht darauf zu.

Ich kann heute wirklich nicht behaupten, dass ich schwebe.
Meine Beine sind nicht schwer, das nicht, aber ich gleite auch nicht gerade wie mit Adlerschwingen dahin. Ich glaube, ich habe alles richtig gemacht, als ich mich für eine etwas weniger anstrengende Tour entschieden habe.
Mehr als 20 Kilometer kommen alles in allem trotzdem zusammen.

Ich überquere ein weiteres Mal eine Landstraße und dann verschwinde ich wieder im Wald.
Sonnenfleck, Schattenfleck, Sonnenfleck, Schattenfleck im stetigen Wechsel. Nach und nach aber gewinnt das Licht die Oberhand. Nur noch einzelne Schattenspeere ragen in die Lichttrassen hinein.

Ich nähere mich nun allmählich Schloss Dhaun.
Bis ich es schließlich erreiche, habe ich es vorher schon mindestens ein halbes Dutzend Mal aus der Ferne gesehen. Es liegt auf einem der zahllosen bewaldeten Hügel, die ich an diesem Tag zu Gesicht bekomme. Ich freue mich schon fast, wenn ich zwischendurch aus einem davon mal einen Felsen herausragen sehe, selbst wenn der aussieht wie der kahle Schädel eines Riesentrolls.

Es ist mittlerweile später Nachmittag.
Über die Wiesen rollen bereits riesige Schattenräder.
Ich marschiere viele Minuten lang auf einem breiten Waldweg bergab, dann auf einem nicht ganz so breiten Waldweg wieder bergauf.
Als ich den Wald verlasse, dann doch wieder Sonne pur.
Ich stapfe über eine Wiese, dann über einen Feldweg, auf dem Traktorräder breite Furchen hinterlassen haben.

Wieder dieser Fernblick auf Hügel bis zum Horizont, der einer visuellen Meditation gleichkommt. Ich kann mich ganz darauf konzentrieren, denn abgesehen von ein paar zwitschernden Vögeln gibt es hier kein Geräusch.
Noch eine Wiese.
Sonnenlicht, das durch die Zweige leuchtet.
Das unaufhörlich hin und her schwingende Gedankenpendel kommt zur Ruhe und  mein inneres Gleichgewicht ist nahezu perfekt ausbalanciert.

Dann Schloss Dhaun.
Menschen, Stimmen, Arbeitsgeräusche.
Ich schaue mich eine Weile auf dem Schlossgelände um, mache Fotos.
Das Schloss hat im Laufe der Jahrhunderte eine Menge Umbauten und Instandsetzungen erfahren und irgendwie sieht man das auch, ohne dass es in irgendeiner Weise störend wäre. Nur die Prometheusfigur, die ein Bildhauer Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen hat, wirkt auf mich eher deplatziert.

Ein Wanderer fragt mich nach dem Weg zur Volkssternwarte Dhaun.
An der bin ich eine Stunde zuvor vorbeigekommen. Ich brauche ihm nicht viel zu erklären. Im Prinzip muss er sich nur an der Beschilderung des Wildgrafenweges orientieren.

Ich dagegen mache mich auf zur Ruine Brunkenstein, einer ehemaligen Vorburg von Schloss Dhaun.
Ruine ist gut.
Die Ruinen, die ich auf meinen letzten Touren gesehen habe, waren ja nun wahrlich schon alles andere als hervorragend erhalten, aber gegen die Brunkensteinruine sind sie wie der Park von Schloss Sanssouci im Vergleich zu einem Schrebergarten.
Eine einzige Mauer steht noch!
Wuchtig und hoch zwar, aber hier muss ich mich wirklich nicht länger aufhalten als notwendig.

Das Finale.
Wald.
Eine einsame Sinnenbank.
Rabenschreie über Baumwipfeln, Abendsonne.
An einer Koppel vorüber und einen kurzen, heftigen Anstieg hinauf.
Immer noch Abendsonne, aber stetig sinkend.
Wenig später marschiere ich dann auch schon ins Dorf hinunter zum Bahnsteig.

12 Comments

    • gorm

      Es gab mehrere dieser tollen Fernblicke. Dazu viel Wald mit nichts als Naturgeräuschen. Eine rundum gelungene Tour mit Entspannungsgarantie. Vielen Dank für Deinen Kommentar & liebe Grüße

  • Mata

    Ich verfolge Deinen Wanderblog eigentlich von Beginn an und lasse mich immer wieder gern in den Bann Deiner sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ziehen. Ich hatte schon viele sehr schöne Leseerlebnisse mit Deinem Blog.

    Grüße, Mata

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Einmal eine problemlose Wanderung. Keine Regengüsse, keine Windböen, kein verhangener Himmel, kein vom Wege abkommen, keine Unvorhersehbarkeiten, einfach einmal eins sein mit der Natur.
    Im Finale schreibst Du eine einsame Sinnenbank, ein Wort das ich noch nie gehört habe. Aber da hilft ja Google. Diese abgebildete Sinnenbank hast Du in Tour 11, Bild 23 abgebildet. Schon damals habe ich sie voller Staunen angesehen.
    Deine Wortwahl verbunden mit den bildlichen Ausdrücken begeistern mich bei jeder Wanderung immer wieder von Neuem..

    • gorm

      Nach der äußerst fordernden Tour 29 war eine solche problemlose Tour einfach mal notwendig.:-) Ich bin sicher, dass sich mir bei den nächsten Touren wieder mehr Schwierigkeiten in den Weg stellen werden. Vielen Dank für Deinen Kommentar!:-)

  • Jana

    „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.“ Das Schloss hat es mir besonders angetan! Wie majestätisch es vor blauer Kulisse thront! Eben märchenhaft.
    Diese wohltuende Abgeschiedenheit ist es, die auch mich immer wieder zum Wandern bringt. Ein Bein vor das andere setzen, Stille „atmen“, die Natur auf sich wirken lassen. Da kann plötzlicher Radiolärm in der Tat sehr störend wirken.
    Man merkt deinen Worten wiederum die innere Zufriedenheit an, die du beim Wandern empfindest. Da war der frühlingshaft anmutende Tag mit dem hellem Licht wohl diesmal nicht ganz unschuldig dran. Ich freue mich schon sehr auf deine Wanderberichte mit schönen Bildern, wenn es erst richtig Frühling ist!
    Liebe Grüße, Jana

    • gorm

      Als ich diesen Weg auswählte, habe ich mir ziemlich genau das vorgestellt, was ich dann letztendlich auch vorgefunden habe. Ich wollte einfach eine unkomplizierte Wanderung durch die Natur. Das habe ich bekommen.:-) Witzigerweise kam ich während der Tour unmittelbar an einer Stelle vorbei, wo ich bei Tour 21 gewesen bin.
      Das Schloss liegt sehr schön auf einem Hügel und sieht schon aus der Ferne wunderbar aus. Vielen Dank für Deinen Kommentar!:-) Liebe Grüße, Torsten

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Es ist doch erstaunlich, wie ich beim nochmaligen Durchlesen Deiner Tour so vieles ganz anders wahrgenommen habe. Es ist natürlich erfreulich von einer Wanderung, die für einmal problemlos verlief, zu lesen.
    Es ist schön mit Dir auf dem Wildgrafenweg unterwegs zu sein und all‘ die Eindrücke der Abgeschiedenheit, der Weiden und des Waldes mitzuerleben. Der Weg ist einmal gut gut ausgeschildert und Schloss Dhaun, die Ruine und die Sinnenbank bringen auch noch Abwechslung in die so schön beschriebene Landschaft.

    • gorm

      Ich erinnere mich gerne an diese Tour zurück, vor allem, da es die erste Tour in diesem Jahr war, die nicht unter winterlichen Vorzeichen stattfand. Das war dann gleich ein ganz anderes und deutlich angenehmeres Gehen.

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