Vorbemerkung
Ursprünglich schwebte mir vor, dieses Wandertagebuch
bzw. diesen Wanderblog mit einem einprägsamen oder
zumindest aussagekräftigen Titel zu versehen.
1000 Touren, 1000 Orte oder dergleichen.
Wer das läse, wüsste sofort, worauf er sich einstellen,
was er erwarten kann. Zugleich wäre bereits zu Beginn
der Wille zum Erreichen eines bestimmten Zieles erkenn-
bar, ein Streben nach Vollendung. Und vielleicht sogar
so etwas wie ein Sinn.
Nicht umsonst lässt sich schließlich Sinn auf ein
althochdeutsches Wort zurückführen, das u.a. auch
„reisen, fahren, sich (irgendwohin) begeben“ bedeutete.
Ich dachte eine Weile darüber nach und dann ver-
senkte ich diesen Entschluss im Meer all der übrigen
gefassten und wieder verworfenen Entschlüsse.
1000 Touren, 1000 Orte stellen eher ein Hirngespinst
dar als ein realistisches Ziel.
Für einen Wanderblog zu mickrig, zu unambitioniert
Das Formulieren eines solchen Zieles wäre wie ein
zweiter Rucksack, den ich stets mit mir herumschleppen
würde.
Ich könnte die Zahl natürlich herunterschrauben.
100 Touren, 100 Orte.
Aber das wiederum würde sich schlicht und ergreifend
zu mickrig, zu unambitioniert anhören.
Also lieber gar kein Ziel festlegen?
An dieser Stelle böte sich eines der zahllosen aus dem
Zusammenhang gerissenen Zitate an, das irgendeine
berühmte oder auch unbekannte Persönlichkeit irgend-
wann einmal zu Papier gebracht oder sonstwie der Mensch-
heit hinterlassen hat, und über das die Nachwelt sich
hermacht, wie es ihr gerade passt.
„Der Weg ist das Ziel“, wie wäre es damit?
Nein danke, ich will irgendwann ankommen.
Und außerdem: Sich schon gleich zu Beginn ein Alibi
für künftiges Versagen zu geben, für das Scheitern an
einem richtigen Ziel, das möchte ich denn doch nicht.
Muss es vielleicht gar kein an Zahlen ablesbares,
sondern könnte es ein eher abstraktes Ziel sein?
Die Abkehr von einem als unerfüllt empfundenen Dasein
zum Beispiel. Oder der Wunsch nach dem Entdecken
neuer Horizonte. Wandern als äußere Entsprechung eines
inneren Weges oder so etwas.
Ich will nicht völlig ausschließen, dass in einer meinem
Bewusstsein nicht zugänglichen Kammer meiner
Psyche Derartiges vor sich hin schlummert. Aber
selbst wenn dem wirklich so sein sollte, dann wird
es da weiterschlummern.
Ich bin kein Pilger auf dem Weg zu einem unent-
deckten oder verschütteten Teil meines Ichs. Mag sein,
dass ich im Laufe der Zeit Dinge über mich erfahren
werde, von denen ich vorher nichts wusste, doch wäre
dies, so es denn eintritt, ein Begleitumstand und
nicht das Ziel des Prozesses.
Die Touren werden vielfältig sein
Ich vermute ohnehin, dass mich – und die Leute, mit
denen ich unterwegs sein werde – in der Praxis viel
banalere Dinge beschäftigen werden. Kleidung, Schuh-
werk, Sonnencreme, Getränke, Handyakku, und so
weiter.
Vielleicht, wer weiß, gewinne ich einen besseren
Blick für die Natur, erkenne in absehbarer Zeit zum
Beispiel Bäume an ihren Nadeln oder Blättern, statt
wie im Augenblick gerade mal einen Laub- von einem
Nadelbaum unterscheiden zu können.
Wie es sich für einen Wanderblog gehört, werden die Touren
vielfältig sein.Es werden Premiumwanderwege darunter
sein, Wanderungen von Bahnhof zu Bahnhof, Städtetouren,
Touren ins Blaue hinein. Vielleicht werde ich sogar auf den
Geschmack kommen und mich an Pilgerstrecken versuchen,
zumindest etappenweise.
Ich habe allerdings nicht den Ehrgeiz, irgendetwas
Bombastisches, die Grenzen des Unzurechnungsfähigen
streifenden oder gar überschreitenden zu vollbringen. Ich
werde mich keinen einzigen Meter im Handstand oder
auf einem Bein hüpfend fortbewegen. Ich bin auch kein
Epigone Johann Gottfried Seumes, jenes epochalen
Wandersmannes, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts
zu Fuß von Grimma nach Syrakus auf Sizilien und wieder
zurück ging. (Wobei er von Neapel aus das Schiff nahm
und damit den Weg beträchtlich abkürzte).
Seume nahm übrigens enorm wenig Gepäck mit auf die
lange Reise, zumindest, wenn man das Dutzend Bücher
nicht rechnet, das er mit sich schleppte. In dieser Hin-
sicht habe ich es heutzutage deutlich besser – Ich kann
auf einen ebook-Reader zurückgreifen.
Eines kann ich versprechen: Es wird wenig geben, was
mich vom Wandern abhalten wird. Regen wird mich nicht
abhalten, Wind wird mich nicht abhalten, Kälte wird
mich nicht abhalten. Ebenso wenig Wölfe, Wisente
und andere in Deutschland neuerdings wieder heimische
wilde Tiere. Das gilt auch für Muskelkater, Schwäche-
anfälle und dergleichen.
Für meine Mitwanderer kann ich natürlich nicht sprechen.
Zurück zu der Sache mit dem Ziel.
Letztendlich habe ich beschlossen, mich für den Anfang
im Großen und Ganzen mit einer etwas abgewandelten
Ballsportweisheit zu begnügen. Ich werde von Wanderung
zu Wanderung, von Tour zu Tour denken, mir – zunächst
zumindest – kein großes, fernes Endziel setzen, sondern
jede Tour als eigenständiges kleines Ziel betrachten, das
auch erst einmal erreicht sein will.
Demnächst: „Wandrers Regenlied“ – Der Einstieg