TOUR 23 – LANDSTUHL: BHF – BURG NANSTEIN – HEIDENFELSEN – BHF
Ganz zu Anfang existiert das NICHTS,
Dann aber konzentriert sich Energie in einem winzigen, unendlich dichten Punkt und beginnt zu expandieren. Ein ungeheuer heißes Feuer brennt und Materie in kleinsten Einheiten entsteht.
Das ist er, der Urknall einer Idee zu einer neuen Tour.
Mitunter bleibt es nicht bei einem einzigen Urknall. Ein zweiter folgt, vielleicht auch ein dritter. Dann kann es beim Entscheidungsfindungsprozess kompliziert werden.
Es ist, als tauchten inmitten hell leuchtender Materie plötzlich gigantische Felder von kalter, dunkler Materie auf. Und als täten böse schwarze Löcher sich auf und verschlängen ganze Galaxien.
Ziemlich genau das widerfährt mir diesmal.
Bis eine Stunde vor Abfahrt meines Zuges ist die Tour des heutigen Tages wie in mein Gehirn hineingebrannt.
Und dann…werfe ich sie von einer Sekunde auf die andere über den Haufen.
Sie scheint mir plötzlich zu lang für die wenigen hellen Stunden des Tages. Es wird einfach zu früh dunkel und ich habe keine Lust, die Tour abbrechen zu müssen.
Mir bleibt keine Zeit, eine wirklich neue Strecke auszusuchen. Aber ich will natürlich auch keine abwandern, die ich in diesem Jahr schon einmal hinter mich gebracht habe.
Also tue ich etwas, das schon lange fällig ist. Ich kehre nach Landstuhl zurück, dorthin, wo ich bei Tour 2 an den Auswirkungen einer desaströsen Planung gescheitert, um nicht zu sagen zerschellt bin.
Auf den ersten Blick bin ich diesmal nicht besser vorbereitet. Genau wie damals will ich die Burg Nanstein und die Heidenfelsen sehen, ohne die geringste Ahnung zu haben, wo sie zu suchen sind.
Es gibt jedoch einige entscheidende Unterschiede zu damals. Der wichtigste ist: Ich kann es mir mittlerweile erlauben, ins Ungewisse aufzubrechen, denn ich
brauche selbst lange Irrwege nicht zu scheuen. Damals bedeutete jeder Irrweg und jeder Umweg die Gefahr, dass ich an meine körperlichen Grenzen gelange, sie gar überschreite. Damit muss ich mich jetzt keine Sekunde mehr beschäftigen.
Als ich in Landstuhl ankomme, ist es so hell, wie es an einem Tag sein kann, der sich erst noch aus dem Griff des Nebels befreien muss. Aber es ist beinahe frühlingshaft mild. Ein Hauch von Wind ist zu spüren, so leicht, dass er kaum die Äste der Bäume bewegt.
Vom Bahnhof aus stapfe ich ganz gemächlich durch die Straßen von Landstuhl. Ich folge dem Schild in Richtung Zehntenscheune, einem Museum. Ich schaue mich kurz in dem kleinen Innenhof um und lese die Namen auf der Gedenktafel.
Eine breite Treppe emporsteigend gelange ich dann auf einen mit buntem Herbstlaub übersäten Pfad, der, ständig die Richtung wechselnd, zur Burg Nanstein hinaufführt. Damit habe ich mein erstes Etappenziel so problemlos erreicht, als hätte ich einfach nur eine schnurgerade Straße entlanggehen müssen.
Der Parkplatz der Burg ist fast leer.
Auf dem Burggelände befinden sich außer mir nur noch drei weitere Personen – zwei Besucher und der Mann an der Kasse.
Für eine Ruine ist die Burg ziemlich gut erhalten, aber der Mann an der Kasse, der zugleich so eine Art Burgenexperte zu sein scheint, erzählt mir neben vielen anderen Dingen, dass von Seiten der zuständigen Behörden auch ziemlich viel getan wird, um das hinzubekommen.
Überall Türme, Mauerreste, Fensteröffnungen.
Ein Felsen, so hoch wie ein dreistöckiges Haus.
Brücken, Treppen, Torbögen, Gewölbe.
Ständig entdecke ich irgendeinen Winkel, den ich noch nicht gesehen habe.
Es fehlt nicht viel und vor meinem inneren Auge läuft ein Mittelalterfilm ab.
Wirklich, das ist eine tolle Burg!
Über die Baumwipfel hinweg kann ich auf Landstuhl hinabblicken.
Über den Hügeln hängt noch immer der Nebel, aber er befindet sich jetzt endgültig auf dem Rückzug.
Nachdem ich die Burg verlassen habe, wandere ich noch einen kleinen Rundweg ab, danach mache ich mir dann endlich einmal Gedanken, wie ich von hier aus zum Heidenfelsen und zum Aussichtspunkt Herrengärtchen komme.
Mit dem Mann an der Kasse habe ich etwa 20 Minuten lang gesprochen, aber ihn zu fragen, wie ich zum Herrengärtchen gelange, daran habe ich nicht gedacht.
Ich könnte zurückgehen, stattdessen aber folge ich einem der Wegweiser, überlasse mich zunächst der Regie des Zufalls.
Ich stapfe ein kurzes Stück durch den Wald, komme an einem Hotel vorüber und dann befinde ich mich plötzlich in einem Wohngebiet.
Jemanden nach dem Weg zum Herrengärtchen zu fragen wäre keine schlechte Idee, aber dazu müsste erst einmal irgendwer da sein, den ich fragen könnte.
Zehn Minuten oder länger laufe ich durch die Straßen.
Nichts, niemand, nur ich.
Improvisation und Ungewissheit hin oder her, irgendwann wüsste ich schon ganz gerne, wie ich zu gehen habe.
In einer Nebenstraße bemerke ich endlich einen älteren Mann, der gerade aus seinem Auto steigt. Ich beschleunige meine Schritte, aber kaum habe ich das getan, verschwindet der Mann in einer Garage und zeigt sich auch nicht mehr.
Langsam komme ich mir vor wie in einer Geisterstadt.
Und wahrscheinlich befindet sich das Herrengärtchen in einer völlig anderen Gegend und ich entferne mich mit jedem Schritt davon.
Ziemlich genau in dem Augenblick, in dem mir dieser Gedanke durch den Kopf mäandert, entdecke ich ein grünes Schild, auf dem steht: „Herrengärtchen“.
Ich beeile mich natürlich, ihm zu folgen.
Ein fußbreiter Pfad zwischen Sträuchern hindurch.
Dann Wald.
Ein Weg nach links, ein Weg geradeaus, ein Weg nach rechts.
Und eine Wagenladung voller Symbole an den Bäumen.
Um es kurz zu machen. Zum Herrengärtchen müsste ich den Weg linkerhand einschlagen, ich entscheide mich aber für den nach rechts.
Nach 200 Metern begegne ich jedoch einer Frau mit zwei Hunden, die meinen Irrtum aufklärt und mich in die richtige Richtung lotst.
Das Herrengärtchen.
Ehrlich gesagt, dafür hat sich der ganze Aufwand nicht unbedingt gelohnt.
Ja, man kann weit in die Ferne blicken, aber man sieht nichts Weltbewegendes.
Wolken, einen verschwommenen Horizont, Straßen mit Autos darauf. Und die Ramstein Airbase.
Nun gut.
Ich mache mich auf zum Heidenfelsen. Inzwischen glaube ich, so ein wenig aus den Schildern schlau geworden zu sein und folge dem Wegweiser, der mir am plausibelsten erscheint.
Womit ich nicht gerechnet hätte – der oder vielmehr die Heidenfelsen sind nur einen Katzensprung vom Herrengärtchen entfernt.
Die Pfade schlängeln sich verwunschen durch lichten Wald. Es ist mittlerweile ein Herbsttag geworden wie gemalt.
Die Sonne leuchtet golden durch die Kronen der Bäume. Überall schimmert und funkelt es.
Ich gehe und gehe und gehe.
Spüre die Bewegung beinahe wie den Rhythmus einer unhörbaren Musik.
Da!
Ein winziges Schild mit kleiner Schrift: „Zu den Heidenfelsen“!
Ich steige einen steilen, pfadlosen Hang hinunter.
Hier komme ich besser nicht ins Rutschen.
Die Heidenfelsen sind jeden Schritt wert, den ich ihretwegen gegangen bin.
Alles zusammengenommen – den schmalen, unterhalb der Felsen verlaufenden Pfad, die bizarren, fast surreal wirkenden Baumaliens auf dem Plateau, den Blick hinunter in den Schattenwald – sind sie wirklich beeindruckend.
Von den Felsen aus wandere ich dann weiter in Richtung Kindsbach, auch so ein nie zuvor gehörter Ortsname.
Noch vor den ersten Häusern jedoch macht der Weg einen Knick und ich bewege mich wieder tiefer in den Wald hinein.
So ganz allmählich beschleicht mich das Gefühl, dass ich hier nichts mehr von bleibendem Wert entdecken werde.
Lange Zeit gehe ich nun kreuz und quer, mal bergauf, mal bergab, durch stetig unansehnlicher werdenden Wald, und der Lärm der nahen Landstraße dröhnt mir immer lauter in den Ohren.
Der Weg, auf dem ich gehe, führt aber ohnehin nach Landstuhl zurück.
An einer kleinen Kirche vorüber, dann eine Straße hinunter, erreiche ich die ersten Häuser der Stadt.
Wenig später bin ich zurück am Bahnhof, dem Ausgangspunkt meiner Wanderung.
6 Comments
Katrin
Eine sehr schön beschriebene Wanderung. Uns geht es auch oft so,dass uns kein Mensch begegnet. Manchmal sind die Wanderwege wie ausgestorben und die Wegbeschilderung eine Katastrophe. Danke für den interessanten Artikel.
gorm
Vielen Dank für die netten Worte.:-) Das Problem ist bei solchen Strecken oft auch die Vielzahl der Schilder. Vor allem aber: Das war ja keine offizielle Wanderstrecke, sondern eine, die ich mir selbst kurzfristig zusammengebastelt hatte.:-) Viel Freude auch euch weiterhin bei euren Wanderungen.
Jana
So poetisch beschrieben, kombiniert mit schönen Fotos, dass man eigentlich sofort losgehen möchte, um genau diesen Weg zu wandern – der Stille lauschend, den Duft des Waldes aufsaugend, die Ruhe genießend … Liebe Grüße 🙂
gorm
Vielen Dank, liebe Jana!:-)
Ursula Dahinden-Florinett
Wie gut, und wie eine bildlich vorstellbare Natur du doch hier wieder beschrieben hast.Es scheint eine abwechslungsreiche Wanderung gewesen zu sein. Erwähnen muss ich auch die ersten Abschnitte bis zum Entscheidungsfindungsprozess und dann bis zur definitiven Wanderung, für mich einfach super! Eine Wanderung erzählt in einer meisterhaften Sprache.
gorm
Hi Ursula, es wäre mir zu wenig, mich auf bloße Beschreibungen der Touren zu beschränken. Vielen Dank auch diesmal für Deinen Kommentar!:-)