TOUR 17 – VON VEITSHÖCHHEIM NACH WÜRZBURG TEIL 1
Vier Monate sind ins Land gegangen, seitdem ich mit
diesem Wandertagebuch begonnen habe. Vier Monate,
in denen das Wandern bzw. Gehen zu einem bestän-
digen, einem substanziellen Teil meines Lebens ge-
worden ist.
Der Entschluss zum Wandern/Gehen hat sich als Be-
ginn von etwas erwiesen, das ich mittlerweile mit Fug
und Recht als inneren und äußeren Aufbruch bezeich-
nen kann. Ich bin in nahezu keiner Hinsicht mehr an
jenem Punkt, von dem aus ich damals aufgebrochen
bin.
Damals noch undenkbar
Ich bin erstens körperlich wesentlich fitter. Distanzen,
die mir damals noch den Garaus gemacht hätten, könnte
ich inzwischen fast schon auf einem Bein abhüpfen.
Zweitens kreisen meine Gedanken um ganz andere
Ziele, wie etwa das – damals noch undenkbare – Vorhaben
zeigt, den Fränkischen Marienweg abzuwandern.
Ein wenig – aber auch nur ein wenig – muss ich auf-
passen, dass meine Gedanken nicht zu sehr enteilen.
Mitunter beschäftigen sie sich bereits mit neuen großen
Zielen, ehe das erste überhaupt bewältigt ist. Aber im
Grunde zeigt das lediglich, wie sehr die Dinge im
wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung geraten sind.
Tour 17 findet zum ersten Mal dort statt, wo das große
Ziel in Angriff genommen werden soll, in Unterfranken.
Alleine in Würzburg selbst befinden sich drei der insgesamt
50 Wallfahrtsorte des Marienweges, viele weitere in den
Dörfern ringsum.
Ich starte diese Tour in Veitshöch-
heim, ein paar Kilometer vor den
Toren Würzburgs gelegen.
Veitshöchheim ist eine nette kleine
Gemeinde mit netten kleinen Straßen und
einem netten, aber gar nicht mal so
kleinen Rokokogarten.
Den schaue ich mir als erstes an.
Es ist zehn Uhr morgens, aber die kommende Hitze
ist bereits deutlich zu erahnen. Zwischen den hohen
Hecken und unter den Bäumen findet sich sich jedoch
genug Schatten.
Ich durchstreife den Garten ziemlich langsamen Schrit-
tes.
Die Skulpturen am Rande der Wege stören mein ästhe-
tisches Empfinden weniger, als ich angenommen habe.
Sie wirken meist eher verspielt als überladen, wenn
man von der Pegasusskulptur im Großen See in der
Mitte des Gartens absieht. Aber auch die gefällt mir
irgendwie. Sie passt einfach in die Umgebung.
Vor den Obst-und Gemüsebeeten, die es hier in nicht
geringer Zahl gibt, stehen Schilder mit dem deutschen
und dem lateinischen Namen der jeweiligen Pflanze.
Und ab und zu auch ein unmissverständliches und
offenbar auch notwendiges Hinweisschild mit der
Aufschrift: NUR SCHAUEN, NICHT KLAUEN!
An einem Tag, der so düster war…
Vor einigen Jahren bin ich schon
mal hier gewesen, an einem Tag, der so
düster war, dass man ihn kaum von der
Nacht unterscheiden konnte. Der Regen
spülte alles weg, unter anderem auch jeg-
liche Freude an dem Aufenthalt in diesem
Garten.
Das ist diesmal vollkommen anders. Der Gar-
ten nutzt seine zweite Chance und für mich
stellt er den idealen Auftakt dar für das, was
noch vor mir liegt.
Vor mir bzw. uns.
Um 14 Uhr bin ich mit Carmen – ehemals Lebensgefähr-
tin, inzwischen „nur noch“ Gefährtin, aber eine sehr enge –
am Dom verabredet.
Ich könnte natürlich mit dem Bus, der Bahn oder dem
Auto nach Würzburg fahren, aber ich bin hier, um zu
gehen.
Von Veitshöchheim bis nach Würzburg sind es ca. 6 Kilo-
meter, was im Prinzip nicht viel ist, aber diese 6 Kilometer
werden durch die immer mehr an südeuropäische Gegeben-
heiten sich annähernde Hitze zumindest ein bisschen er-
schwert.
Anfangs trotte ich am Mainufer
entlang und mir wird wenigstens
noch etwas fürs Auge geboten.
Später aber stapfe ich an einer
vierspurigen Bundesstraße vorüber,
auf der praktisch ohne Unterbrechung
Autos und LKWs an mir vorbeisausen.
Ich habe es nicht anders gewollt
Zur Linken immer mal wieder Weinberge, ansonsten As-
phalt, Gestank, Lärm und Hitze.
Aber ich habe es ja nicht anders gewollt und es stört mich
nicht allzu sehr. Im Gegenteil, selbst jetzt genieße ich das
Gehen, bis zu einem gewissen Grad zumindest.
In Würzburg angekommen habe ich noch einiges an Zeit.
Erst einmal will ich mir die Festung ansehen.
Könnte ich durch die Luft gehen, wäre ich innerhalb von
Minuten, wenn nicht Sekunden dort. Durch Straßen je-
doch, die anders verlaufen, als ich erwarte, und in denen
rote Ampeln und langsame Fußgänger meine Schritte
hemmen, dauert es erheblich länger.
Und zum wiederholten Male mache ich die Erfahrung,
dass man auf falschem Wege höchstens ausnahmsweise
mal zum richtigen Ziel gelangt.
Eine ganze Weile lasse ich mich treiben, stapfe durch
mir unbekannte Straßen, überquere Parkplätze, gehe
hierhin, gehe dorthin.
Irgendwann befinde ich mich
dann aber doch vor der Kirche St.
Burkard, einer der ältesten Kirchen
Würzburgs. Von hier aus sieht die
Festung verdammt nah aus, aber das
täuscht, denn der Weg hinauf verläuft
in weiten, zeitraubenden Schwüngen.
Unterwegs Blicke über die Weinberge,
über die Stadt und auf das schräg gegenüber der
Festung liegende Käppele, dessen Türme im Gegen-
licht aussehen wie seltsame Aliengeschöpfe.
Der Parkplatz vor der Festung ist mäßig belegt. Ich
stapfe durch einen Tunnel, in dem meine Schritte
widerhallen, als würden meine Sohlen aus Stein be-
stehen, und schaue mich dann im Inneren der Festung
in aller Gemütsruhe um.
Eine Japanerin vor mir mit einem Objektiv so lang
wie ein Arm bleibt alle zwei Meter stehen, um ein
Foto zu machen,
Ich drehe eine Runde, betrachte die
Türme und Torbögen und lasse den
Blick über die Stadt schweifen, die im
Sonnenlicht und mit dem Weinberg-
Brücken-Fluss-Ambiente ein Fest für
die Augen ist. Sie ist von gleißendem
Licht überflutet und noch am entferntesten
Punkt des Gesichtskreises sieht es so
aus, als sei ein riesiger Lichtball auf die
Erde gefallen und zerplatzt.
Beim Rückweg in die Stadt wähle ich die Variante durch
den Landesgartenschau-Park.
Auf eine mir unerklärliche Weise muss ich mit meinem
Rucksack eine Art Globetrotter-Kompetenz ausstrahlen,
denn dreimal werde ich nach dem Weg gefragt und einer
der Fragesteller will sogar wissen, ob ich ihm Tipps für
besondere Orte in Würzburg geben kann.
Es gibt einige sehr schöne Stellen in dem Park, aber für
mich wird es allmählich Zeit, denn es ist kurz vor 14 Uhr.
Auf der Alten Mainbrücke, auf der
man genau in Richtung Westfassade des
Doms geht, herrscht Hochbetrieb. Und
ständig bleibt irgendjemand stehen, um
zu fotografieren, mich selbst einge-
schlossen. Gitarrenmusik mischt sich
unter das Gemurmel und Gelächter der
Passanten. Ich glaube, ich fühle mich
wohl hier.
Demnächst: Von Veitshöchheim nach Würzburg, Teil 2
3 Comments
Mata
Du schreibst wunderbar. Ich freue mich schon auf den 2. Teil.
gorm
Vielen Dank.:-)
Ursula Dahinden-Florinett
eine gut beschriebene Wanderung in einer wie immer starken Sprache.