Wandertouren

TOUR 31: BHF BEXBACH – BLUMENGARTEN – BRUNNENPFAD

Es sind jene ganz besonderen Momente beim Gehen.
Jene Momente, in denen ich nicht mehr versuche, etwas Bestimmtes zu tun oder zu erreichen, jene Momente, in denen ich eine Geduld in mir spüre, die Zeit allein nicht zu brechen vermag, in denen aus meinem Denken alles Vordergründige und Unwichtige verschwindet und es durchdrungen ist von einer großen Klarheit.
Jene Momente, in denen nichts anderes von Bedeutung ist als das Hier und Jetzt.
Ich atme gleichsam die Stille ein.
Ich inhaliere so etwas wie innere Zufriedenheit oder Glück oder wie immer man es nennen will.
Sie gehen natürlich vorüber, jene besonderen Momente.
Doch etwas davon bleibt, als Gefühl, als Widerhall.
Jetzt. Immer.

Es ist Anfang März, also nicht mehr so richtig Winter, aber auch noch nicht so richtig Frühling.
Es ist windig und mild und nirgendwo am Himmel zeigt sich auch nur die Andeutung einer Andeutung künftigen Regens.
Ich trabe vom Bahnhof aus auf direktem Wege zum Blumengarten, der rasch erreicht ist.
Die Frage, ob es sinnvoll ist, um diese Jahreszeit einen Blumengarten aufzusuchen, stellt sich mir nicht. Er existiert, er ist nur einen Kilometer vom Bahnhof entfernt, also will ich ihn mir ansehen.

Einen Farbenschock muss ich heute natürlich nicht befürchten. Aber es gibt immerhin ein paar ganz nett anzuschauende Bäume, eine Jupitersäule und auch ein paar Exponate des Bergbaumuseums, das sich ebenfalls auf dem Gelände des Blumengartens befindet.
Einen Besuch des Museums behalte ich mir allerdings für eine spätere Tour vor.

Vom Blumengarten aus mache ich mich dann auf in Richtung Brunnenpfad.
Der offizielle Startpunkt des Pfades ist zu weit entfernt, also habe ich beschlossen, an einem markanten Punkt irgendwo auf der Strecke einzusteigen und von dort aus dann später zum Bahnhof zurückzukehren. Auch bis dorthin sind es aber immerhin rund vier Kilometer.

Ich gehe schnell.
Es existiert schließlich auch kein irgendwie plausibler Grund, langsam zu gehen, denn außer einer recht ansehnlichen Kirche gibt es nichts, was wirklich meine Aufmerksamkeit fesseln könnte.
Anfangs sind die Straßen noch ziemlich belebt, später dafür leerer als Vampirsärge bei Nacht.

Irgendwann biege ich in eine Seitenstraße ab und kurz darauf habe ich endlich die letzten Häuser hinter mir. Ich stapfe an Kleingärten in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls vorüber. In nicht allzu weiter Entfernung erblicke ich den Kühlturm des Kraftwerks Bexbach.

Dann aber endlich Wald.
Buchstäblich in derselben Sekunde springt mir auch schon das Symbol des Brunnenpfades ins Auge. Besser kann es nicht laufen.
In den nächsten Minuten, nein, sogar in der nächsten Stunde bin ich einfach nur Atem und Auge und Bewegung.
Ich gehe sehr langsam.
Nehme möglichst viel bewusst wahr.
Warte ab, bis aus einem flüchtigen Eindruck etwas geworden ist, dem mein Verstand eine konkrete Bezeichnung geben kann.

Ein erster Anstieg.
Oft treten die Bäume ganz eng zusammen und der Pfad krümmt und windet sich zwischen ihnen hindurch wie ein ausgetrocknetes Rinnsal.
Sonnendolche zerschneiden die Wolken und es wird beinahe richtig warm.
Ich beobachte das Wechselspiel der Farben auf dem Boden und zwischen den Bäumen.
Rot wird zu gelb, hell wird zu dunkel.

Dann der erste von insgesamt sieben Brunnen auf der Strecke.
Karlsbrunnen lese ich auf einem Schild.
Später bringe ich in Erfahrung, dass der Brunnen ein paar Jahre vor dem 2. Weltkrieg hier installiert und ein paar Jahrzehnte später renoviert wurde.

Ich beende das langsame Gehen und stapfe rascher vorwärts.
Mit dem höheren Gehtempo verändert sich auch die Art der Wahrnehmung. Von vielem, was mein Blick streift, bleibt nur ein rasch verlöschender Widerhall. Dafür aber stellt sich jene Harmonie zwischen Gehrhythmus und Denken ein, die mir am meisten behagt und die mir temporär die Tür zu einem Raum völliger Wunschlosigkeit öffnet.
Die Betonung liegt allerdings auf temporär, denn ziellos dahintreiben wie ein unbemanntes Schiff im Nebel, das möchte ich auf Dauer auch nicht.

Wald und Wald und immer noch mehr Wald.
Ein Bach, ein paar Holzstiegen.
Irgendwo aus der Schwärze des Unbewussten arbeitet sich allmählich das Bedürfnis ans Licht, dass ich gerne mal etwas anderes sehen würde als kahle Bäume.
Und kaum ist mir dieses Bedürfnis bewusst geworden, registriere ich etwas, das ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr wahrgenommen habe: ein tiefes, sattes, fast schon leuchtendes Grün.
Ich laufe durch eine Ansammlung von Nadelgehölzen und kann mich an dem Grün gar nicht sattsehen.
Plötzlich bricht auch noch die Sonne durch die Bäume und der Himmel über mir wirkt mit einem Mal weit wie ein Meer ohne Horizont.

Ein zweiter Brunnen.
Dieser hier heißt Frankenbrunnen und geht auf eine Quelle zurück, die bereits im 16. Jahrhundert als „Franckenborn“ bekannt gewesen ist.
Ein paar Schritte weiter gelange ich auf eine richtig breite Waldschneise und kurze Zeit später kann ich den Blick endlich mal ein wenig in die Ferne schweifen lassen.
Auf dem gegenüberliegenden Hügel entdecke ich die Häuser eines Dorfes, zweifellos Münchwies.
Der Pfad führt aber erst einmal wieder in den Wald, zunächst in eine karge Dunkelheit hinein, dann in eine umso hellere Senke hinab.
Als ich dann an Münchwies vorübertrotte, entdecke ich einen Wegweiser mit einer Kilometerangabe.
Die Steinberghütte – der von mir gewählte Startpunkt – ist angeblich nur 4 Kilometer von hier entfernt. Anders ausgedrückt: Ich habe auf dem Brunnenpfad erst vier Kilometer zurückgelegt.

Eine Weile zerbreche ich mir nun abwechselnd über zwei Dinge den Kopf.
Erstens: Kann es sein, dass das langsame Gehen zu Beginn mein Zeitempfinden und vor allem meine Einschätzung von Wegstrecken völlig durcheinandergebracht hat?
Und zweitens: Was tue ich eigentlich, wenn sich herausstellt, dass ich in Wirklichkeit schon viel mehr Kilometer gewandert bin und lediglich irgendwann irgendwo eine falsche Abzweigung genommen habe, so dass ich vielleicht längst in einer ganz falschen Richtung unterwegs bin?

Unterdessen laufe ich einen breiten Pfad hinab und dann wieder in den Wald hinein.
Ein Bachstillleben mit Steinen und Stämmen zieht meinen Blick auf sich.
En passant registriere ich eine Holzbrücke – Anmerkung: Ich hätte die Holzbrücken auf der Strecke zählen sollen! – und einen weiteren Brunnen – erst der dritte oder doch schon der vierte?

Stille sickert in meinen Kopf wie Wasser in einen sandigen Boden.
Kilometerangaben, Wegstrecken sind mir mit einem Mal völlig gleichgültig. Gedanken darüber wehen einfach davon und kehren nicht mehr zurück.

Dann folgt das Schönbachtal, eine rund zwei Kilometer lange Passage durch eine Landschaft, die eine Fee im Glücksrausch erschaffen haben muss.
Ein Pfad, mal labyrinthisch verschlungen, mal schnurgerade, an einem breiten, an manchen Stellen fast reißenden Bach vorüber.

Wahrnehmungen. Beobachtungen.
Manche im Entstehen schon wieder sich auflösend, manche ein paar Sekunden lang aufflackernd und dann verlöschend, manche hinabsinkend in die Räume meiner Erinnerung.
Das Weiß der Sonne, die zwischen den Bäumen hindurchleuchtet.
Das helle Grün der Wiesen jenseits des Baches, das dunklere Grün der Moospflanzen.
Ein Wind, der kaum sichtbar die Blätter bewegt.
Der dann dreht und stärker wird, ein mattes Rauschen von irgendwoher, wie der Flügelschlag eines unsichtbaren Vogels.

Etliche Holzbrücken und einen Aussichtspunkt später bin ich dann endlich in Hangard.
Ich streife durch die nicht gerade überfüllten Dorfstraßen. Nach der stundenlangen Abgeschiedenheit des Waldes komme ich mir trotzdem ein wenig vor wie ein Eremit, den es aus seiner menschenleeren Wildnis nach New York verschlagen hat.
Ich gehe am Dorfbrunnen vorüber, dem eigentlichen Startpunkt des Brunnenpfades, und ein Augenblinzeln später bin ich auch schon wieder im Wald.

Die Ostersteige.
Wieder so eine Passage wie aus dem Feenhandbuch für das Schaffen magischer Glücksmomente.
Wurzelgeflechte, bemooste Steine, Pfade, die wie aus dem Nichts zu entstehen scheinen.
Immer stillere Worte, immer stillere Bilder sind in meinem Kopf.
Der Pfad führt unmittelbar ans Ufer der Oster heran.
Ein paar Augenblicke verharre ich neben einer bizarren Stammkreation, die ins Wasser hineinragt.
Und keine zwei Minuten später bleibe ich schon wieder stehen, an einer Stelle, an der das zuvor ruhige, träge Wasser in sichtbaren Wirbeln dahinströmt.

Danach immer noch Wald.
Wenn wenigstens schon richtig Frühling wäre und es an allen Ecken wie verrückt blühen und leuchten würde!
Aber irgendwann hat das Auge einfach genug von diesen skelettierten Bäumen und all der Farblosigkeit.
Ein Aussichtspunkt zwischendurch lockert das Ganze noch mal ein wenig auf, aber ab einem bestimmten Punkt sind meine Gedanken in erster Linie darauf ausgerichtet, zu einer bestimmten Uhrzeit wieder am Bahnhof in Bexbach zu sein.

Ein schmaler Pfad zwischen Bäumen hindurch, okay, dann nehme ich den eben noch mit.
Eine Holzbrücke, mal wieder, warum auch nicht.
Ein Felsen, gut, kann man sich im Vorbeilaufen ansehen.
Aber Aufmerksamkeit kann man das, was ich für all das aufbringe, nicht mehr nennen.
Halt!
Da ist ja doch noch etwas Interessantes.
Ein alter Grenzstein, auf dem die beiden Worte „Koenigreich Preuissen“ stehen. Ich überquere also eine historische Landesgrenze.

Dem allerletzten Brunnen, aus dem nicht einmal Wasser sprudelt, gönne ich auch noch einen beiläufigen Blick, doch wenig später erreiche ich bereits die Steinberghütte und damit den Punkt, an dem ich vor etlichen Stunden auf den Brunnenpfad gestoßen bin.
Von da marschiere ich im Eiltempo durch abendliche Straßen zum Bahnhof zurück.

15 Comments

  • Silbia

    Fein!!
    Ich durfte mehrmals schmunzeln über diese und jene Formulierung.
    Aber auch beim Mitgehen ein Gefühl entwickeln,
    das leider viel zu schnell mit den Zeilen verklingt… dort im Feenglücksrausch. 🙂

    Liebe Güße,
    Silbia

    • gorm

      Vielen Dank für Deine Zeilen! Der Brunnenpfad ist eine wirklich schöne Strecke, auf der ich mich insgesamt sehr wohlgefühlt habe. Der Wald kann schließlich nichts dafür, dass er jahreszeitlich bedingt irgendwann doch ein wenig monoton wirkt. Müsste halt endlich richtig Frühling sein!:-)
      Dir auch liebe Grüße!

    • gorm

      Vielen Dank!
      Nun, ich schätze, dass es alles in allem so knapp 30 Kilometer gewesen sein werden. Der Pfad selbst gehört nicht zu den ganz schwierigen, so dass sich die Anstrengung in Grenzen hielt.

        • gorm

          Ja, es ist ein Premiumweg. Viel Natur, viel (relative) Stille, meist schmale, aber gut gangbare Wege durch den Wald. Und natürlich das Bemühen, die Strecke immer mal wieder an kleineren Highlights vorbeizuführen, wie etwa diesem preußischen Grenzstein.

  • Katrin

    Wieder eine wunderschöne, bildreiche Geschichte mit schönen Wortspielereien.Besonders so leer wie ein Vampirsarg bei Nacht :).
    Vielen Dank für die interessante Lektüre. Passt gut zu meinem Morgenkaffee.Und nun gehe ich in den Wald.Gruß Katrin

    • gorm

      Hallo Katrin, vielen Dank für die positiven Worte! Ich hoffe, ich kann Dir auch bei zukümftigen Touren ein Lesevergnügen verschaffen!:-) Grüße Torsten

  • Jana

    Und wieder habe ich jedes deiner Worte aufgesogen, habe sie auf mich wirken, sie nachklingen lassen. Sehr schön hast du den Brunnenpfad beschrieben – einen der Premiumwanderwege, mit denen das kleine Saarland regelrecht gepflastert ist! Sehr abwechslungsreich muss er nach deinen Beschreibungen sein, dieser Pfad, mit Brunnen, Bächen, Holzbrücken, einem Grenzstein. Verständlich, dass du dir beim Gehen den Frühling herbeigesehnt hast, jene Jahreszeit, in der die Natur explodiert. Da werden die Sinne dann noch intensiver angesprochen.
    Ich danke dir wieder sehr für deine poetischen Beschreibungen, die mir stets Lust auf ausgedehnte Wandertouren machen. Liebe Grüße, Jana

    • gorm

      Vielen Dank, liebe Jana.
      Ja, der Pfad war recht abwechslungsreich und hat insbesondere mit dem Schönbachtal und der Ostersteige auch ein paar Highlights in Sachen Natur zu bieten. Auch das richtige Maß an Stille und Abgeschiedenheit weist er auf. Gäbe es nicht so viele, viele andere Touren, die ich noch machen will, würde ich den Pfad vielleicht irgendwann ein zweites Mal gehen. So aber lockt schon wieder Neues!:-)
      Liebe Grüße Torsten

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Die Einleitungen sind für mich immer wichtige Bestandteile deiner Wanderbeschreibungen.
    Ich kann dich verstehen, dass du zwischendurch das Bedürfnis hattest etwas anderes zu sehen als Bäume. Hast du dich aber trotzdem schon mal gefragt, ob Bäume untereinander kommunizieren. Deine aufmerksame Wahrnehmung der Brunnen, der Holzbrücken, der Wälder und des Schönbachtals bringt die Natur so nah, als wäre man selber ein Wanderer und Beobachter.
    Eine Tour die mir gefällt, und du wieder so abwechslungsreich in Worte gefasst hast.

    • gorm

      Vielen Dank für die positiven Worte!
      Ich mag Bäume sehr, aber ich habe bei meinen Touren der letzten Monate so viele kahle Bäume gesehen, dass ich jetzt einfach wieder was blühen sehen will.:-)

  • Roxanne

    Das ist schon ein ganz besonderer Wanderblog, den Du hier betreibst. Ich finde Deine Sprache sehr schön, mal poetisch, mal witzig, mal ausgefeilt. Ich freue mich auf weitere Berichte!

    • gorm

      Ziemlich genau diese Balance, die Du beschreibst (poetisch, witzig, ausgefeilt), versuche ich auch hinzubekommen bei meinen Wanderberichten. Wenn eine Tour abwechslungsreich bzw. eindrücklich ist – so wie diese hier – kommt mir das natürlich entgegen. Vielen Dank für Deinen Kommentar!:-)

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