TOUR 3: EIN ROTER FADEN
Hannover: „Roter Faden“ – Maschsee – Ricklinger Kiesteiche
– Bahnhof
Es ist für mich eine Reise in die Vergangenheit, denn
vor vielenvielenvielen Jahren habe ich eine Zeit lang
in Hannover gelebt. Es ist fast schon zu lange her, um
von mir noch als verbürgte Realität meines eigenen Lebens
wahrgenommen zu werden, aber dennoch wird mich bei
vielen Örtlichkeiten ein heller Blitz des Wiedererkennens
durchzucken.
Die Anreise ist lang und mein Vorhaben, im Zug an einigen
Texten zu arbeiten, erweist sich als undurchführbar. Zu
viele Menschen, zu viele Gerüche, zu viel Lärm, zu oft
umsteigen. Auf solch unwirtlichem Boden gedeiht meine
Konzentration nicht.
Bei dieser Tour wird es eine Besonderheit geben: Mit dem
Freund, mit dem ich verabredet bin, habe ich nämlich aus-
gemacht, dass wir einen Teil der Tour mit dem ebike
bewältigen werden. Ich habe noch nie auf einem ebike
gesessen und bin ziemlich neugierig darauf. Wird es
wirklich ein komplett anderes Fahrgefühl sein als auf
einem normalen Fahrrad? Wird sich gar meine Weltsicht
verändern?
Zumindest haben wir dadurch die Möglichkeit, unsere
Tour erheblich auszudehnen.
Wir starten jedoch ganz konventionell zu Fuß.
Der „Rote Faden“ beginnt in unmittelbarer Nähe
des Hauptbahnhofs. Wir haben zunächst kein
Problem, ihn im Auge zu behalten, denn er ist,
obwohl an manchen Stellen arg verblasst, gut
sichtbar. Nennenswerte Schwierigkeiten, ihm
zu folgen, kann es also auch eigentlich gar nicht geben.
Frühlingsgesicht
Auch das Wetter spielt mit. Der Himmel, der am Tag zuvor
noch ausgesehen hat, als hätte ihn jemand mit einem
riesigen grauen Tuch bedeckt, zeigt uns sein Frühlings-
gesicht.
Auf dem Opernplatz erfolgt das erste größere Inter-
mezzo. Es gibt viel zu sehen und zu fotografieren:
Das Opernhaus selbstverständlich, das meinen ver-
kümmerten Sinn für Architekturästhetik allerdings
nicht anzusprechen vermag.
Dann das Holocaustmahnmal in der Mitte des Platzes,
bei dem sich angesichts der menschlichen Schicksale,
an die es erinnern soll, ästhetische Fragen vielleicht
gar nicht erst stellen.
Dann die drei Statuen bekannter historischer Per-
sönlichkeiten der Stadt Hannover, von denen mir
allerdings nur Heinrich Marschner ein Begriff ist.
Der Platz ist nicht allzu belebt, was uns volle Be-
wegungsfreiheit gibt. Nur auf zwei der in einer schnur-
geraden Reihe angeordneten Bänke, hocken Ent-
schleunigte. Auf einer Grünfläche liegen regungslos
zwei Männer, vom Alkohol niedergestreckt. Dazu passt
wie Blut zu Wunde die Lache aus Erbrochenem auf der
untersten Stufe des Holocaustmahnmals.
Wir setzen unseren Weg fort, haben in der guten Viertel-
stunde, die wir auf dem Opernplatz hin und her gelaufen
sind, den Roten Faden jedoch nicht mehr beachtet, und
jetzt passiert das, was passieren musste: Wir finden ihn
trotz eingehender Suche und trotz des Einsatzes mo-
derner Hilfsmittel nicht wieder. Fürs Erste zumindest.
Da wir uns nicht im Labyrinth des Minotaurus befinden,
sondern an einem im Vergleich dazu eher übersichtlichen
und vor allem ungefährlichen Ort, entschließen wir uns,
den Faden erst einmal Faden sein zu lassen und einfach
den nächsten Punkt auf der Liste der 36 Sehenswürdig-
keiten anzuvisieren, die es entlang des „Roten Fadens“
zu erkunden gibt.
Wir hätten vermutlich gar nicht erst Zeit für die
Suche nach dem Faden aufwenden sollen,
denn er findet sich von selbst wieder. An der
Straßenecke gegenüber der Aegidienkirche
entdecken wir ihn. Hier begegnen wir
auch dem einzigen Menschen an diesem Tag,
der erkennbar ebenfalls dem „Roten Faden“ folgt.
Man sieht es weniger an dem leicht unsicheren
Blick, mit dem er das Straßenpflaster absucht,
sondern in erster Linie an der Informationsbro-
schüre, nach der auch wir uns richten.
Das Fehlende
Die Aegidienkirche fängt den Blick schon bei einem
flüchtigen Hinsehen ein. Es ist zunächst weniger das
Existente als vielmehr das Fehlende, dem man sich
nicht entziehen kann. Das Dach des Kirchenschiffes
ist nämlich nicht mehr vorhanden.
Sich im Innern einer Kirche zu befinden und dennoch
unter freiem Himmel zu sein wird vermutlich eine sin-
guläre Erfahrung für mich bleiben. (weitere Fotos hier!)
Am Neuen Rathaus, das wir kurze Zeit später erreichen,
setzen wir uns auf die Treppenstufen und führen uns
Nahrung in Form von Müsliriegeln zu.
Wir sind jetzt schon länger unterwegs, als es unserer
allerdings sehr flexiblen Planung entspricht. Da wir
auf jeden Fall die ebikes ausprobieren und auch aus-
giebig nutzen wollen, beschließen wir, die Radstation
am Bahnhof aufzusuchen, bei der wir die ebikes vorbe-
stellt haben.
Demnächst: Ein roter Faden, Teil 2
3 Comments
Pit Knost
Boh äh, Hannover, da hab ich mir mal den großen Zeh gebrochen beim Wandern, also Augen auf Ihr Wandergesellen 😬
Ursula Dahinden-Florinett
Teil 1: Es freut mich, dass bis jetzt auf allen deinen Wanderungen ein Bild des jeweiligen Bahnhof’es dabei war. Ich liebe Bahnhöfe!
Deine Tour 3 ist ein kleiner, schöner Ueberblick, auch mit den “ Fotis“, von Hannover, wo ich noch nie war. Ich glaube, dass die Hannoverianer ein rel. reines Deutsch sprechen.
gorm
Das mit dem „reinen“ Deutsch kann ich im Großen und Ganzen bestätigen. Hannover ist insgesamt eine wirklich schöne Stadt, wie ich finde, und man kann sehr vieles zu Fuß erreichen, wenn man ein wenig Zeit mitbringt.