TOUR 2: „IRRUNGEN, WIRRUNGEN“
Landstuhl: Bahnhof – Bismarckturm – Burg Nanstein –
Bahnhof
Diese Tour mache ich allein.
Es wird eine Chaostour werden, geprägt von den
Auswirkungen eines unzulänglichen Orientierungssinnes
in Verbindung mit dem verhängnisvollen Entschluss,
mich im Großen und Ganzen auf eben jenen Orientierungs-
sinn zu verlassen.
Konkret sieht das folgendermaßen aus: Ich lege vorher
ein paar Etappenziele fest und vergegenwärtige mir durch
Anschauen einer Karte grob, wie ich zu gehen habe.
Das ist alles. Ansonsten, so mein Entschluss, will ich
mich lediglich auf das verlassen, was die Natur
mir bietet: Stadtpläne, auf die ich zufällig an irgend-
einer Straßenecke stoße, Hinweisschilder, hilfsbereite
Passanten.
„Wohl weiß ich die Wege…“
Das Resultat dieser Herangehensweise wird ein nahezu
vollkommenes Desaster sein. Hätte ich mir ein Tuch
um die Augen gebunden und wäre ein paar Stunden
lang blind durch die Gegend marschiert, es wäre kaum
weniger aussichtslos gewesen.
Den Heidenfelsen, den auserkorenen Fix- und Umkehr-
punkt dieser Wanderung, werde ich an diesem Tag nicht
zu Gesicht bekommen.
Wie Cordoba für den Reiter in Lorcas „Reiterlied“ wird
er unerreichbar für mich bleiben: „Wohl weiß ich die
Wege, doch Cordoba sehe ich nie.“
Ich bin schon unzählige Male mit dem Zug durch Land-
stuhl gefahren, aber den Boden der Stadt hat mein
Fuß noch nie betreten.
Das erste, worauf mein Blick fällt, nachdem ich den
Bahnhof verlassen habe, ist die auf dem Fenster eines
entsprechenden Etablissements abgebildete Silhouette
einer Stripperin. Ich spüre einen Hauch der 70er.
Ich gehe eine viel befahrene Hauptstraße entlang.
Mir ist schon auf diesen ersten Metern der Wanderung
klar, dass meine absichtlich unzureichenden Vorbe-
reitungen mich in Schwierigkeiten bringen werden.
Nach noch nicht einmal einer halben Stunde habe ich
bereits zweimal nach dem Weg gefragt und beide Male
bin ich in der falschen Richtung unterwegs gewesen.
Ich muss den Lothar-Sander-Platz finden, diese Infor-
mation habe ich in meinem Gedächtnis gespeichert.
Ich gehe einfach weiter die Hauptstraße entlang –
jetzt aber in der richtigen Richtung! – und tatsächlich
stoße ich nach nicht allzu langer Zeit auf den gesuchten
Platz. Ein kleines Erfolgserlebnis! Wenn ich jetzt
den Entschluss gefasst hätte, den Platz zu überqueren
und dann noch einmal einen Ortskundigen nach dem
richtigen Weg zur Burg Nanstein zu fragen, dann hätte
alles gut werden können. Aber es geschieht eben das,
was man tut, und nicht das, was man tun sollte.
Ich überquere den Platz nicht. Ich folge meinem vor-
bestimmten Schicksal und lasse mich von einem Hin-
weisschild mit der Aufschrift BISMARCKTURM in
eine Richtung locken, die so falsch ist, dass sie nicht
viel falscher sein könnte.
Ich gehe eine recht steile Straße hinauf und biege
irgendwann in einen Wald ab. Am Fuße eines
ultrasteilen Anstiegs, der von dem Hauptpfad
abzweigt und zur Not auch als Kletterwand
durchgegangen wäre, sehe ich wieder ein
Schild mit der Aufschrift BISMARCKTURM.
Ich habe schon deutlich fittere Menschen als mich
an weniger steilen Stellen stürzen sehen, also
bleibe ich auf dem Hauptpfad.
Ein paar Minuten später gehe ich an einer Weg-
gabelung links und wiederum ein paar Minuten später
befinde ich mich urplötzlich am Rande eines mili-
tärischen Sperrgebietes. Ich vermute, dass es sich
um das LRMC handelt, das Landstuhl Regional Medical
Center, das größte Hospital der US-Streitkräfte außer-
halb der USA.
Ich kehre um, denn es besteht kein Zweifel daran,
dass der Bismarckturm in der anderen Richtung zu
suchen ist. Ich will diesen Turm finden, denn ich
brauche unbedingt das Gefühl, ein Etappenziel er-
reicht zu haben, und sei es eines, das ich ursprünglich
gar nicht anvisiert habe.
Es dauert gar nicht einmal so lange, bis es endlich so
weit ist. Ich stapfe einen schmalen Pfad hinauf und
sehe den Turm vor mir.
Das Chaos
Nachdem ich vom Bismarckturm aus wieder losmarschiert
bin, beginnt eine Phase ungefähr zweistündigen Umher-
irrens durch kleine Waldstücke, Straßen und Gassen.
Manche Straßen bekomme ich mehr als einmal zu Ge-
sicht, aber vertrauter werden sie mir dadurch auch
nicht.
Noch immer bin ich zuversichtlich, den Heidenfelsen
irgendwann im Laufe dieses Tages zu erreichen,
aber diese Zuversicht hält der gnadenlosen Realität
nicht mehr lange stand.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt stellt sich dann eine
Stimmung relativer Gelassenheit ein. Schließlich habe
ich das Chaos selbst heraufbeschworen, bin mein ei-
gener Master of disaster.
Allerdings: Dass es solche Touren ins Blaue hinein
nicht allzu oft geben wird, das steht nach den Erfah-
rungen dieses Tages endgültig fest.
Immerhin kommt, nachdem ich irgendeine meinen Weg
kreuzende Landstraße überquert habe, endlich so etwas
wie Wanderfeeling auf. Ich befinde mich nämlich mit
einem Mal in einem Wald, der die Bezeichnung auch
verdient und ich sehe doch tatsächlich auch ein paar
Wanderwegsymbole. Offensichtlich befinde ich mich
auf dem Mühlenweg, einem – wie ich später nachlesen
werde – knapp 30 Kilometer langen Wanderweg quer
durchs Gelände.
Es ist jetzt ein viel bewussteres und zugleich auch ent-
spannteres Gehen. Leider läuft mir die Zeit davon, denn
kurz vor 14 Uhr möchte ich wieder am Bahnhof in Land-
stuhl sein.
Zumindest die Burg Nanstein, die hier irgendwo in der
Nähe sein muss, möchte ich jetzt aber noch sehen.
Ich werde sie auch tatsächlich noch sehen, ich werde eine
Weile durch das ansehnliche Gemäuer streunen, werde
feststellen, dass der Akku meines Handys leer ist und
werde daraufhin den Entschluss fassen, in nicht allzu ferner
Zukunft wiederzukommen. Mit mehr Zielgerichtetheit,
mit besserer Ausstattung und durch Erfahrung klüger
geworden.
Für diesmal aber bin ich des ziellosen Umherstreifens
müde und kehre zum Bahnhof zurück. Wundersamerweise,
ohne mich dabei zu verlaufen.
3 Comments
Ursula Dahinden-Florinett
Also das ziellose Umherstreifen hat sich schlussendlich doch gelohnt, hast du ja alles erreicht was du wolltest. Schade war der Akku deines Handy leer, vermisste ich doch die Bilder zu Tour 2 (oder habe sie event. nicht gefunden). B.T. kenne ich nur den von Konstanz. Wie ich vorab gelesen habe sind sie nach dem Entwurf von Götterdämmerung…..
entstanden. Götterdämmerung kenne ich nur als Oper von Wagner.Alles in allem finde ich war die Tour 2, trotz deiner Irrungen, sehr spannend zu lesen
gorm
Hallo Ursula, ich habe die Bilder von Burg Nanstein ja auf Tour 23 sozusagen nachgeliefert. Bei Tour 2 bestand außerdem das Problem, dass ich einfach noch nicht fit genug war, um mir sehr große Umwege erlauben zu können, sonst hätte ich die Heidenfelsen bestimmt schon damals entdeckt.:-)
Ursula Dahinden-Florinett
Ja, Torsten, ich habe heute Morgen die Bilder gesehen, bevor ih deinen Text las. Danke alleweil.