Wandertouren

TOUR 15 – BAUMHOLDER-FRAUENB.: GRÄFIN-LORETTA-WEG

Wir starten diese Tour wohlweislich ziemlich früh

am Morgen.

Am Tag zuvor ist es so heiß gewesen, dass die Luft

über dem Asphalt flimmerte wie über dem

Mojave-Highway in den USA, und auch für heute

sind hohe Temperaturen angekündigt.

 

Als wir kurz vor neun losgehen, ist es jedoch noch über-

raschend kühl.

Frank, der Freund, mit dem ich diesmal unterwegs

bin, hat kurze Hosen und ein T-Shirt an, während ich

mit Jeans und Pulli – allerdings mit aufgekrempelten

Ärmeln – rumlaufe.

 

Wir lassen es langsam angehen, trotten gemächlich

über einen asphaltierten Weg in den Wald hinein.

Gräfin-Loretta-WegEin Holztor markiert den eigentlichen

Beginn der Strecke. Im Laufe der nächsten

Stunden werden wir solche Holztore immer

wieder zu sehen bekommen.

 

Der Pfad macht es uns leicht, ins Gehen

hineinzufinden. Es gibt wahrlich schwie-

rigere Einstiege als eine leicht abschüssige

Wiese hinabzugehen und dann eine Brücke

zu überqueren.

Der Pfad wird sehr rasch sehr schmal.

Links eine Böschung und unten in der Senke ein

von Zweigen beschatteter Waldbach. Ab und zu

ragt der knorrige Stamm eines umgestürzten

Baumes in die Szenerie hinein.

 

Ein Tor aus Licht

 

Immer mehr Lichtspeere stoßen nun in die Schatten

hinein und jenseits der Bäume erahnt man bereits

die Existenz flirrender Lichtkaskaden.

Immer mehr Licht.

Von links, von rechts, von überall.

Vor uns ein Tor aus Licht, auf das wir zugehen.

Gräfin-Loretta-WegAls wir es durchschritten haben, stehen

wir urplötzlich vor einer wuchtigen

hohen Burgmauer.

Die Frauenburg.

Im 14. Jahrhundert hauste hier jene Gräfin

Loretta, nach der dieser Wanderweg be-

nannt worden ist.

 

Leider ist der Aufstieg zum Turm gesperrt,

so dass wir uns mit der Perspektive aus

einer niedrigeren Etage begnügen müs-

sen.

 

Der Fernblick ist nicht schlecht, aber wir

werden auf dieser Tour noch wesentlich bessere geboten

bekommen.

Außerdem stört eine Brücke mit dem optischen Reiz

eines verrosteten Blecheimers den Gesamteindruck

erheblich.

 

Wir verlassen die Burg und stapfen auf einem kaum

mehr als fußbreiten Pfad dahin. Gerade mal einen

Kilometer haben wir zurückgelegt und befinden uns

bereits völlig im Einklang mit der Strecke.

Wandern ist eine WYSIWYG-Angelegenheit, und

so unterschiedlich auch die Empfindungen dabei

sein mögen, so verschieden die Ziele und Gründe,

die hinter dem Entschluss zu wandern stehen, es

existiert kein esoterischer Code, den man erst

entschlüsseln muss, um das Wandern zu verstehen.

Man kann einfach losgehen und sehen, was pas-

siert.

 

Bisher sind wir im Großen und Ganzen so mühelos

vorangekommen, als wären wir auf einem unsicht-

baren Windpfad dahingeglitten.

Aber die Strecke kann auch anders.

Eine Rampe, nicht wirklich steil, nicht wirklich schwierig,

aber doch alles andere als flach,beendet das Dahin-

gleiten.

Am Ende des Anstiegs stoßen wir unvermutet auf eine

breite Straße, die mich an Bilder von Rennstrecken aus

den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erinnert.

 

Viel Horizont

 

In nicht allzu weiter Entfernung erblicken wir die

Frauenburg. Und nach einer kurzen Passage durch

schattigen Wald haben wir sie schon wieder vor Augen.

Aus der Perspektive, die wir jetzt haben, sieht sie aus wie

ein Bassin mit zwei Sprungtürmen.

 

Und der nächste Aussichtspunkt lässt nicht lange auf sich

warten.

Gräfin-Loretta-WegMotiv diesmal: Die Nahe, unter einer

Eisenbahnbrücke dahinfließend, flankiert

von Bäumen und einer schmalen Straße.

 

Aber es geht auch ohne Fluss.

Wenig später und ein paar Höhenmeter

mehr können wir über die Wipfel der

Bäume hinweg bis zum Rand eines weit,

weit entfernten Horizontes blicken.

Bewaldete Hügel, so weit das Auge

reicht. Dazu ein Himmel wie aus einem Werbe-

prospekt für Spanienurlauber.

 

Als wir dann den Wald verlassen, merken wir erst

richtig, wie heiß es mittlerweile geworden ist. Die

Sonne knallt nur so auf unsere Köpfe herab,

Gräfin-Loretta-WegVermutlich ist das der Grund, warum wir

uns auf dem Nahekopf nicht allzu lange

verweilen, obwohl die sogenannte „Kaiser-

allee“ mit den 12 Stelen römischer

Herrscher durchaus imposant ist.

 

Es dauert auch gar nicht lange, da hat der

Wald uns wieder.

Am Beginn eines breiten Weges weist uns

 

ein Warnschild plötzlich auf einen „Militärischen Sicher-

heitsbereich“ hin.

Wir sind erstaunt genug, um dem Schild eine Minute

Aufmerksamkeit zu gönnen, aber natürlich folgen wir

weiter dem Wandersymbol, auch wenn es uns geradewegs

in die als Sicherheitsbereich deklarierte Zone hinein-

führt.

 

Nachdem wir wieder mal einen Bach überquert haben,

ändert sich der Charakter der Strecke ein wenig.

Gräfin-Loretta-WegWir bewegen uns jetzt häufiger über

freies Gelände und die Landschaft präsen-

tiert sich uns wie ein aufgeschlagenes

Fotoalbum.

Wald. Ein Gehöft. Windräder. Wiesenpfade.

 

Eine Sache wundert uns schon die ganze

Zeit. Wir befinden uns auf einem Rund-

weg. Es ist Sonntag. Sicher ist es heiß, im

 

Grunde jedoch herrscht gutes

Wanderwetter.

Aber auf der ganzen, mehr als 12 Kilometer langen

Strecke begegnet uns nicht ein einziger Wanderer.

Nur einmal hören wir menschliche Stimmen und

treffen auf eine Familie, die am Wegrand ein Open-

Air-Frühstück einnimmt.

Sonst niemand.

Möglichkeit eins: Es gibt hier ein Bermuda-Dreieck,

in dem die Wanderer verschwinden.

Möglichkeit zwei: Kein einziger Wanderer geht den Weg

in umgekehrter Richtung.

Oder sollte tatsächlich niemand außer uns hier

unterwegs sein?

Jedenfalls ist das Ganze mehr als seltsam.

 

Zur Abwechslung passieren wir nun mal eine kleine

Schlucht, in der das mir von ähnlichen Stellen

wohlbekannte Tohuwabohu von Ästen und Steinen

herrscht. Man könnte meinen, hier habe ein Baum-

massaker stattgefunden, so chaotisch sieht es aus.

 

Kurz darauf kommen wir in ein Dorf, biegen aber

schon nach den ersten Häusern links ab und wenige Mi-

nuten später befinden wir uns an einer Stelle, wo

der eigentliche Pfad links den Berg hinabführt, an der

wir aber auch die Möglichkeit haben, einen kleinen

Umweg zu einem Aussichtspunkt zu machen.

 

Eine sich räkelnde Glitzerschlange

 

Warum wir hier zehn Minuten lang überlegen, was wir

tun sollen, wissen wir wohl selbst nicht so genau.

Fest steht dass wir uns entschließen, den Umweg zu

dem Aussichtspunkt zu machen.

Fest steht auch, dass dies die richtige Entscheidung ist.

Uns bietet sich ein Panorama dar, bei dem mir be-

wusst wird, dass Interjektionen tatsächlich eine Daseins-

berichtigung haben.

Wieder die Nahe, von hoch oben, wie eine im Sonnen-

licht sich räkelnde Glitzerschlange.

Allmählich wissen wir gar nicht mehr, wohin mit all

den großartigen Eindrücken, die diese Strecke bereit-

hält.

 

Steil und in mitunter schon als bizarr zu bezeichnenden

Spitzkehren geht es danach ins Tal hinab.

An vielen Stellen müssen wir auf tückisches, unter unseren

Füßen in Bewegung geratendes Geröll achten.

Am Schluss der Wanderung wird die Durchschnittslänge

unserer Schritte nicht mehr als 65 cm sein. Kein Wunder,

wenn man bei sich bei Passagen wie dieser manchmal nur

zentimeterweise voranbewegen kann.

 

Gräfin-Loretta-WegUnser Weg führt uns nun direkt ans

Naheufer.

Wir sammeln Flussimpressionen: Farben-

prächtige Blumen. Bäume, deren Äste

weit über die Wasserfläche hinausragen.

Kleinere Stromschnellen. In Ufernähe

Steine, von schimmerndem Wasser

umspült.

 

 

Dann hinüber ans andere Naheufer.

Beinahe, aber auch nur beinahe begegnen wir doch

noch jemandem.

Wir sehen ein Fahrrad, daneben einen offenen Ruck-

sack, aber weit und breit niemanden, dem diese Dinge

gehören könnten.

 

Was nun noch kommt:

Der Teufelsgrund, eine Schlucht. Wie die vorherige

Schlucht, nur tiefer. Noch mehr Tohuwabohu, noch

mehr Massaker.

Gräfin-Loretta-WegDer Weibersprung.

Der letzte von vielen, von sehr vielen Aus-

sichtspunkten auf dieser Strecke.

Eine Sinnenbank mit Blick auf einen

Felsen, der aussieht wie ein zu Stein

gewordener Troll.

 

Schlussakkord.

Noch einmal Pfade durch Wald und am

 

Rande des Waldes vorüber.

Eichelhäherschreie über einer Wiese.

Die letzten hundert oder zweihundert Meter mar-

schieren wir dann an der Landstraße entlang, zu-

rück zu dem Parkplatz, der unser Startpunkt war.

6 Comments

  • Gulpino

    Wirklich eine sehr schöne Tour. Wegen des Trollpfads auch mit Kindern zumindest als Teilstück gut gehbar. Warum die schön beschriebene Tour so wenig begangen wird, ist wahrlich ein Rätsel.

    Wir freuen uns schon auf weitere Wanderblogs

    • gorm

      Hallo, vielen Dank für den Kommentar.:-) Es ist insgesamt eine großartige Tour. Viele, sehr viele Bänke. Immer wieder kleine und große Highlights. Im Grunde für jeden etwas dabei. Der Trollpfad ist in der Tat eine gute Idee. Ich kann jetzt nicht ganz genau sagen, wie lange dieser Abschnitt ist, aber so etwa 2 bis 3 Kilometer. Beste Grüße TW

  • Knorke

    Lieber Torsten,

    besten Dank für die Erinnerungsauffrischung an diese ebenso abwechslungsreiche wie wunderschöne Wanderung.

    Grüßle Fr.

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Eine wunderschöne Tour mit herrlichen Aussichten (erst noch eine Eisenbahn im Hintergrund). Mit Aussichtspunkten und Wald, scheint ihr ja nicht zu kurz gekommen zu sein. Man kann ja diese Aussichtspunkte z.T. als grandios nennen.Wie muss das schön gewesen sein! Spannungsreich beschrieben in einer formvollendeter Sprache.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert