TOUR 7 – ZWEIBRÜCKEN: BAHNHOF – TSCHIFFLICK – TROMPETENHÜGEL
Das wirklich Substanzielle am Wandern, das, was mich
letztendlich dazu bringt, es überhaupt zu tun, ist das
Gehen. Nicht das, was ich sehe, nicht das, was ich erlebe,
nicht die Städte, nicht die Sehenswürdigkeiten, nicht
einmal die Natur. Nein, es ist das Gehen, die Bewegung.
Die anderen Dinge sind auch wichtig, denn sonst könnte
ich ja einfach jeden Tag um den Häuserblock joggen.
Aber weder jedes einzelne davon für sich genommen noch
alle zusammen wären Anreiz genug.
Für mich als Autor liegt es natürlich nahe, das Gehen als
Quelle der Inspiration zu nutzen.
Es ist erwiesen, dass körperliche Bewegung die Konzen-
trationsfähigkeit steigert. Im Gehen denkt es sich besser.
Indem ich Schritt vor Schritt setze, entstehen Worte und
Formulierungen in meinem Kopf.
Das ist ein Aspekt.
Beim Gehen relativiert sich manches
Ein zweiter: Beim Gehen relativiert sich mitunter das
eine oder andere. Für manch scheinbar völlig verfahrene
Angelegenheit ergibt sich plötzlich ein Lösungsansatz,
neue Perspektiven tun sich auf.
Gehen führt keineswegs vom Leben weg. Es ist keine Flucht.
Oft nähern wir uns dem Kern eines Problems, obwohl wir
uns – scheinbar – davon entfernen. Einfach deshalb, weil
unsere ursprüngliche Einschätzung falsch war. Es mag
paradox klingen, aber im Gehen können wir innehalten –
gedanklich innehalten – und uns neu orientieren, neu aus-
loten, welche Möglichkeiten wir haben.
Im Laufe dieser siebten Tour wird mir etwas
klarwerden: Dass nämlich während der ver-
gangenen Wochen der Wunsch in mir immer
stärker geworden ist, von Zeit zu Zeit eine
längere Tour einzuflechten, etwa den 30
Kilometer langen Mühlenweg zwischen
Landstuhl und Thaleischweiler-Fröschen.
Dieser Wunsch ist das eine, die ganz banale Frage
lautet jedoch: Bin ich dafür überhaupt schon fit genug
oder steht zu befürchten, dass ich nach zwei Dritteln
der Strecke wie ein verendendes Zebra liegenbleibe.
Einmal, vor einigen Jahren, bin ich knapp 50 Kilometer
gewandert, mit schwerem Gepäck, in schwierigem Ge-
lände. Danach konnte ich zwei Tage lang meinen eigenen
Namen nicht mehr buchstabieren.
Aber der Wunsch ist existent, und nun ist es nur noch
ein einziger Schritt, daraus ein ausformuliertes Ziel
zu machen.
Wieder mal Regen
Die siebte Tour startet, wie sollte es anders sein, im
Regen. Er setzt ziemlich genau in dem Augenblick ein,
als ich in Zweibrücken aus dem Zug steige. Allmählich
nehme ich den ständigen Regen auf meinen Wandertouren
persönlich.
Ich folge heute mal wieder keiner starr festgelegten
Route, sondern möchte mich ein wenig der Regie des
Zufalls überlassen.
Fest steht, dass ich zunächst den Rosengarten auf-
suchen und mich danach zum Parkplatz Tschifflick be-
geben werde, was allein schon ca. 3 Kilometer Fußmarsch
bedeutet, da ich dazu quer durch die Stadt und dann sogar
noch ein paar hundert Meter weiter gehen muss.
Im Rosengarten – unter den wenigen, aber
erkennbar höchst interessierten Besuchern –
ist jede einzelne meiner Handlungen, ja
eigentlich sogar mein bloßes Vorhandensein,
so unauffällig wie ein Leuchtfeuer in der
Nacht.
Man sieht mir vermutlich nicht nur meine
vollkommene Ahnungslosigkeit, sondern auch
mein Desinteresse an.
Ich beuge mich nicht wie a l l e anderen ständig
über irgendeinen Strauch und begutachte
irgendeine winzige Einzelheit.
Natürlich sind Rosensträucher schöner als
irgendwelche Grasbüschel auf einer Wiese, die aussieht
wie ein halb geschorenes Schaf. Doch das lässt sich
auch von vielen anderen Dingen sagen, ohne dass
mich deshalb gleich die Begeisterung schüttelt.
Ich halte mich nicht länger als eine Viertelstunde im
Rosengarten (Fotos!) auf. Schließlich bin ich ja auch zum
Wandern hierhergekommen.
Ich überlege, ob ich den Bus nehmen soll, aber bis ich
zu Ende überlegt habe, habe ich die Stadt fast schon
hinter mir.
Bei einem Mann, der dabei ist, seine Hecke zu schneiden,
vergewissere ich mich, dass ich in die richtige Richtung
unterwegs bin und wenige hundert Meter weiter bin
ich dann auch schon raus aus der Stadt.
Die einsame Landstraße lässt beinahe verschüttete
Erinnerungen an lange zurückliegende Tramptouren
durch Deutschland und Westeuropa in mir wach-
werden.
Damals war es häufig mehr das Unterwegssein als
das Ankommen, was zählte, eine unerfüllbare
Sehnsucht nach einem Irgendwo.
Es regnet immer stärker.
Allmählich verliert die Umgebung ihre klar umrissene
Form. Wie ein Boot auf hoher See treibe ich durch
eine Welt des Wassers.
Es geht in den Wald hinein.
Es hört auf zu regnen, o Wunder! Meine Stimmung steigt.
Ich folge zunächst einer mit der Zahl 11 gekennzeichneten
Route, später dann einem rot-weißen Balken, noch später
dann irgendeinem Weg, der mir gerade unter die Füße
gerät. Mal taucht eine 4 auf, mal eine 14, dann wieder der
rot-weiße Balken.
Wärmende Strahlen
An einer Abzweigung wende ich mich nach rechts und
fortan ist für eine halbe Stunde oder mehr eine verfallene
Mauer der Wegweiser, nach dem ich mich richte.
Der Weg ist eine einzige große Schlammpfütze, aber
durch die Baumwipfel fallen wärmende Sonnenstrahlen.
Ich begegne kaum jemandem, dafür aber einigen mehr-
mals.
Einem Jogger gleich vier Mal.
Beim ersten Mal grüßen wir beide.
Beim zweiten Mal grüße nur noch ich.
Beim dritten Mal richtet er den Blick auf den Boden
vor seinen Füßen.
Beim vierten Mal schauen wir in entgegengesetzte Rich-
tungen.
Ich folge einem Schild mit der Aufschrift Trompetenhügel
und kurz darauf habe ich einen freien Blick auf die Reste
des Lustschlosses, das hier vor 300 Jahren von einem
polnischen König im Exil errichtet worden ist.
Von hier aus habe ich nur noch wenige hundert Meter zum
Parkplatz zu gehen.
Dort angekommen fasst irgendetwas in mir den Entschluss,
noch einen der Themenwege in Angriff zu nehmen, die
hier ihren Anfang nehmen.
Ich habe schon bessere Ideen gehabt. Angeblich – oder
sehr wahrscheinlich auch tatsächlich – führt der Weg in
einem Bogen in die Stadt zurück.
Der Haken an der Sache ist, dass ich keinen blassen
Schimmer habe, wann…
Ich bin müde. Der Rucksack hängt auf meinem Rücken
wie ein Pferd im Koma. Ich habe Durst. Meine Wasser-
vorräte – immerhin drei Liter – sind aufgebraucht und
meine Kehle fühlt sich an, als hätte ich eine Glasscherbe
verschluckt. Zu allem Überfluss hat sich an der rechten
Ferse auch noch eine große Blase gebildet.
Mir bleibt keine Wahl, ich muss umkehren.
Auf dem Weg zurück zum Bahnhof komme ich noch an der
sogenannten Herzogvorstadt und am Schloss vorüber, aber
ich bin inzwischen so abgestumpft vor Müdigkeit, dass
ich das gar nicht mehr richtig zur Kenntnis nehme.
5 Comments
Carlislehenna
Wie wäre es mal mit einer Tour von Bahnhof zu Bahnhof? Wo Du doch sowieso immer von Bahnhöfen aus startest?
gorm
Ja, das geht mir auch die ganze Zeit schon im Kopf herum. Landstuhl – Thaleischweiler wäre ja so eine Tour. Konz – Saarburg will ich diesen Sommer auf jeden Fall noch machen, vielleicht auch Idar-Oberstein – Kirn.
Das sind allerdings alles recht lange Touren, so dass es nicht zuletzt eine Zeitfrage ist. Auf jeden Fall danke für die Anregung.:-)
Mata
Ich freue mich schon auf die Berichte von Deinen längeren Touren.:-)
Ursula Dahinden-Florinett
Ein Bild vom Bahnhof vermisse ich. Die Bilder vom Trompentenhügel gefallen mir. Er wäre sicher ein Besuch wert. Mit dem Abschnitt „Gehen“ bin ich voll und ganz deiner Meinung. Es ist ja auch eine Sucht! Aber jetzt zur Tour, in welcher du wieder einen stillen Humor beweist. Der Wettergott ist deinen Wanderungen, wirklich oft, nicht hold gestimmt. Dies bringt uns Leser jedoch immer wieder in den Genuss deiner so schön beschriebenen Wetterlagen. Die Tour hat mir gefallen.
gorm
Eins steht jedenfalls fest: Hätte ich mich vom Regen abhalten lassen zu wandern, dann hätte ich wohl nur etwa die Hälfte der Touren gemacht.:-)