TOUR 6: Bruchmühlbach-Miesau – DIE VIER STADIEN DES WARTENS
Es geht heute in die Westpfalz, nach Bruchmühlbach-Miesau.
Der Ort liegt nur wenige Kilometer oder eine Bahnstation von Landstuhl entfernt, wo ich vor einigen Wochen kläglich an meiner aleatorischen Chaosplanung gescheitert bin.
Diesmal ist nach menschlichem Ermessen ein solches Desaster nahezu ausgeschlossen, denn unsere Tour ist bis ins kleinste Detail festgelegt: Wir werden uns vom Bahnhof zunächst zum Schützenhaus am anderen Ende des Ortes begeben und von dort aus dann einen Teil des „Sagenhaften Waldpfades“ erwandern. Den gesamten Weg – immerhin gut 16 Kilometer – zu bewältigen, kommt aus Zeitgründen nicht in Frage, denn die Freundin, mit der ich verabredet bin, hat eine recht lange Anreise und zudem Zugbindung. Sie muss mit einem ganz bestimmten Zug zurückfahren und nur für diesen gilt ihre Fahrkarte.
Es darf also nicht allzu viel schiefgehen.
Es ist schon beinahe Mittag, als ich in Bruchmühlbach ankomme.
Es ist heiß und still.
Ich warte.
In der drückenden Hitze wird das Warten mit der Zeit zu einem eigenständigen kontrapunktischen Motiv, zu etwas, das sich der Stille des Sommertages entgegenstellt. Wäre diese Stille nicht gewesen, dann wäre das Warten mir leichter gefallen. Es wäre ein ganz normales Warten gewesen, eines, bei dem ich nicht einmal das zweite Stadium, das Stadium der Ungeduld, erreicht hätte.
Insgesamt gibt es vier Stadien, in die ich das Warten einteile, und das Dumme ist, dass man natürlich nie vorhersagen kann, welches Stadium erreicht werden wird. Und es gibt durchaus mehr als nur oberflächliche Unterschiede zwischen den einzelnen Stadien.
Das erste Stadium ist eigentlich noch gar kein richtiges Warten. Man befindet sich an irgendeinem Ort und Zeit – meist sehr wenig – verstreicht, und dann ist es auch schon vorbei mit dem Warten. Das ist das angenehmste Stadium. Man hat hinterher nicht den Eindruck, wertvolle Lebenszeit vertan zu haben und ohnehin erinnert man sich so gut wie nie daran zurück.
Vom zweiten Stadium lässt sich das schon nicht mehr behaupten. Dieses zweite Stadium ist das des ungeduldigen Wartens. Kennzeichnend dafür ist, dass es kein Ende nehmen will, und das macht es unangenehmerweise zum mit Abstand häufigsten Stadium.
Während dieses Stadiums beginnt man unweigerlich nachzudenken und stets handelt es sich dabei um eine unergiebige, destruktive Form des Nachdenkens.
Das dritte Stadium ist das Stadium des geduldigen Wartens, das dann einsetzt, wenn die Ungeduld dem dunklen, stillen Gefühl gewichen ist, dass man ohnehin nichts ändern kann. Das geduldige Warten ist das letzte der vier Stadien des Wartens, dem man irgendwie noch einen Sinn beimessen kann.
Danach folgt noch das Stadium des stupiden Wartens, bis zu dem ich es jedoch noch kein einziges Mal habe kommen lassen.
Es wird Mittag.
Ich warte.
Die Stille ist nicht vollkommen. Wäre sie es gewesen und wäre nicht ein die Hitze wenigstens minimal abschwächender sommerlicher Windhauch aufgekommen, dann hätte ich vielleicht nicht so lange an einer Stelle ausgeharrt, sondern hätte mir ein wenig die Beine vertreten.
Als die Freundin endlich ankommt, sind wir aufgrund der Verspätung ihres Zuges schon fast eine halbe Stunde hinter unserem Zeitplan zurück.
Zum Glück haben wir keine Schwierigkeiten, das Schützenhaus zu finden. Von dort an ist der „Sagenhafte Waldpfad“ bestens ausgeschildert.
Wir gehen noch ein kurzes Stück über eine asphaltierte Straße, dann nimmt uns der Wald in seine kühlen Arme auf.
Bevor wir jedoch für gut zwei Stunden endgültig in der Waldabgeschiedenheit verschwinden, ist uns noch der Blick auf ein paar skurril aussehende Skulpturen am Rande eines kleinen Weihers vergönnt.
Der Star dieser Wanderung ist die Natur. Der Frohnbach hat eine ansehnliche Szenerie steil abfallender Hänge geschaffen, die wir zunächst vom linken, nach Überquerung einer Brücke vom rechten Bachufer aus in Augenschein nehmen können.
Auf schmalen Pfaden geht es immer höher hinauf.
Man muss mitunter schon recht achtsam sein und sollte sich nicht zu nahe an den Rand heranwagen.
An einer Stelle gehen wir versehentlich geradeaus weiter, statt uns halblinks zu halten und befinden uns plötzlich unmittelbar am Rande des Steilhangs. Zu allem Überfluss endet der Irrpfad auch noch in einem Chaos umgestürzter Bäume und übereinanderliegender Erdschollen.
Vorsichtig, Fuß vor Fuß, gehen wir zurück und entdecken erst jetzt das rot-weiße Absperrband, das irgendjemand jedoch zerrissen hat, so dass wir es übersehen haben.
Kurz darauf verpassen wir, ins Gespräch vertieft, eine Abzweigung und müssen wieder umkehren. Meine Begleiterin befällt leichte Panik, denn schließlich darf sie ihren Zug nicht verpassen.
Zurück an der Abzweigung müssen wir feststellen, dass es eigentlich keine Entschuldigung für unser Versehen gibt. Das grüne Baumsymbol, nach dem wir uns richten müssen, zeigt deutlich sichtbar den richtigen Weg an.
Das Wandern zu zweit unterscheidet sich fundamental vom Solowandern, und der größte Unterschied besteht in der Tat im Offensichtlichen, nämlich der Kommunikation, dem Dialog.
Solowandern dagegen bewirkt innere Monologe und vielleicht insgesamt auch eine größere Achtsamkeit.
Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere und ich persönlich schätze beides.
Wir sind inzwischen ziemlich zügig unterwegs, überholen eine Wandergruppe von fünf oder sechs Personen, die so langsam gehen, dass wir ihre Stimmen bald schon nur noch als fernes Gemurmel wahrnehmen.
Ein paar Minuten lang sind wir nun nur Atem und Schritte, lauschen schweigend dem Lied des Waldes.
Dann plötzlich: Klack-Klack-Klack-Klack.
Wir schrecken aus unserer Versenkung auf.
Eine Kompanie älterer Frauen mit Nordic-Walking-Stöcken ist im Anmarsch. In mehreren 3er-Gruppen hintereinander nehmen sie den Weg in Beschlag.
Nachdem wir uns an ihnen vorbeigequetscht haben, wird der Pfad wieder schmaler.
Eine steinerne Treppe hinabsteigend gelangen wir zu einer Weggabelung, von der aus wir nur noch 600 Meter bis zur Tausendmühle zu wandern haben.
Obwohl wir uns die ganze Zeit im Wald befinden, machen die Hitze und vor allem die hohe Luftfeuchtigkeit uns allmählich zu schaffen. Ich zumindest schwitze wie ein Bauer beim Pflügen zu Zeiten Henry Jethro William Tulls.
Bei der Tausendmühle angekommen, erhaschen wir schließlich noch einen Blick auf Wiesen und ein nicht allzu weit entferntes Dorf.
Von hier aus führt der „Waldpfad“ noch etliche Kilometer weiter bis zur Oberen Elendsklamm.
Die jedoch müssen wir uns für einen anderen Tag aufsparen.
3 Comments
Ursula Dahinden-Florinett
Will ichs nid gschafft ha der erscht Code richtig z schribe bin ich etz chli gnervt und schick de Kommentar jetz i miner Muetersproch (nid zwöi t!). Wie du die vier Stadie vom Warte beschribe hesch, das het mich mega fasziniert.
Au die 2 Skulpture (1x im Doppel vonere andere Site) wo du so skurril gfunde hesch, hend mir uu gfalle.
De Waldwäg mit ihrne Brugge und Träppe gsehnd sehr ihladend us. Mer begägned de sicher Velofahrer und Mountainbiker, ned?
Jedefalls wieder en toll beschriebeneWanderwäg.
gorm
Gelesen verstehe ich den Kommentar. Würde ich ihn hören, wäre es sicherlich schwieriger.:-) Vielen Dank für die wiederum so positiven Worte!
Rüp
Die vier Stadien des Wartens, wie kommt man denn darauf? Im positiven Sinne. Toll und faszinierend beschrieben. Der etwas andere Wanderblog, wie es aussieht (betrifft auch andere Texte, die ich durchgelesen habe). Viel Erfolg noch!
Rüdiger Ep.