Wandertouren

TOUR 5 – IDAR-OBERSTEIN: BAHNHOF – FELSENKIRCHE – „NAHE-FELSEN-WEG“ – BAHNHOF

Und schon wieder geistern Warnungen vor Gewittern und

vor Starkregen durch die Wettervorhersagen. Die Freundin,

mit der ich die Tour eigentlich unternehmen wollte, sagt

deshalb ab, was ich ihr nicht verdenken kann. Ich selbst

bin allerdings entschlossen, mich nicht vom Wandern

abhalten zu lassen.

 

Zwei Varianten stehen zur Auswahl. Erstens „Rund um

die Kama“, zweitens der „Nahe-Felsen-Weg“.

Bei Licht betrachtet – und auch bei Dunkelheit und

allen Nuancen dazwischen – ist die Kama-Variante

an diesem Tag des angekündigten Weltuntergangs die

bessere. Sie ist deshalb die bessere, weil sie die leich-

tere und kürzere ist, was nicht zuletzt bedeutet, dass

die Gefahr, in ein Unwetter zu geraten, geringer ist.

Wären wir wie ursprünglich geplant zu zweit gewesen,

dann wäre die Wahl ganz sicher auf die Kama-Variante

gefallen.

 

Ich halte mir die Entscheidung bis zum allerletzten

Augenblick offen. Erst als ich in Idar-Oberstein das

Bahnhofsgebäude verlasse, neigt sich die Waage zu-

gunsten des „Nahe-Felsen-Weges“. Zwar erwecken die

Wolken am Himmel den Eindruck, als seien sie imstande,

eine Sintflut hervorzubringen, aber nun, da mein Ent-

schluss gefasst ist, braucht es bessere Gründe, um

mich wieder davon abzubringen.

 

Nahe-Felsen-Weg Wanderblog Idar-ObersteinDie Fußgängerzone in Idar-Oberstein ist lang

und schmal und man hat praktisch von Beginn

an die Felsenkirche im Blick. Man könnte ohne

Schwierigkeiten mit einem Traktor oder einem

Panzer hindurchfahren, denn sie ist beinahe

menschenleer.

Es regnet Bindfäden.

Noch bin ich recht gemächlich unterwegs. Vielleicht

arbeitet also doch noch die Ungewissheit in mir, ob

ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

 

 

 

 

 

Ein Vorgeschmack darauf, was mich erwarten wird

 

Am Marktplatz gehe ich die Treppenstufen hinauf, die

zur Felsenkirche führen. Sie sind glitschig vom Regen

und ich bekomme einen ersten Vorgeschmack auf das,

was mich später im Wald erwarten wird.

Im Vorbeigehen streift mein Blick einen Aushang, in

dem ein Felsenkirche-Treppenlauf angekündigt wird.

Mehr als diesen einen Informationsfetzen erhasche ich

jedoch nicht, denn ich kann mich heute nicht mit Neben-

sächlichkeiten aufhalten. Die Gewitter sind für den

Nachmittag angekündigt und bis dahin will ich längst

wieder zu Hause sein.

 

Nahe-Felsen-Weg Wanderblog Burg BosselsteinDer Weg führt in Windungen stetig bergan. Ich

beschleunige jetzt meine Schritte. Nach wenigen

Minuten erreiche ich die Burg Bosselstein.

Von dort oben habe ich ganz Idar-Oberstein im

Blick.

Nur im Abgrund wohnt die Wahrheit, sagt Schiller,

aber für mich sind im Moment eher die düsteren

Vorzeichen, die sich über mir am Himmel zeigen,

von Bedeutung. Und sie sind wirklich richtig düster!

So düster, dass ein Teil meines Gehirns sich von

nun an damit beschäftigt, Fluchtpläne für den

Ernstfall auszuarbeiten.

Mit einem Mal jedoch bessert sich das Wetter völlig

überraschend. Die schweren grauen Wolkentanker sind verschwunden. Sogar die Sonne zeigt sich.

Beruhigt bin ich trotzdem nicht.

 

Ich werfe noch einen vorsichtigen akrophobischen Blick

hinunter in die Stadt, dann geht es in den Wald hinein.

Die Wege sind vom Regen der vergangenen Tage schlam-

mig und beanspruchen meine ganze Aufmerksamkeit. Wan-

dern als Entspannung, als Loslassen? Nicht heute. Goethes

„erhabene Sprache der Natur“ schweigt an diesem Tag zu

mir.

 

Nirgends wirklich fester Halt

 

Nahe-Felsen-Weg WanderblogEine kleine Weile folge ich einem Wildbach, den

ich zwischen den Bäumen hindurch gut im Blick

habe. An einer Brücke wird in deutlichen Worten

darauf hingewiesen, dass nun eine schwierige

Wegstrecke mit steilen Auf- und Abstiegen folge.

Das ist genau das, was ich mir jetzt ganz und

gar nicht wünsche.

 

Ich überquere die Brücke und dann geht es zur

Sache. Der Weg führt steil den Berg hinauf. Der

feuchte, weiche, tückische Waldboden bietet dem

Fuß nirgends wirklich festen Halt. Kleine Felsen

und Wurzelwerk erschweren die Sache noch.

Ohne die Sicherungstaue, an denen ich mich festhalte, könnte ich mich vermutlich darauf gefasstmachen,

wie ein Metorit zur Erde zu stürzen und da unten in dem

Waldbach mein nasses Grab zu finden.

Ich sehne mich plötzlich nach einer tischebenen Land-

schaft mit Wiesen und Äckern bis zum Horizont.

 

Nahe-Felsen-Weg Wanderblog Idar-ObersteinNachdem ich diese Passage irgendwie bewältigt habe,

wird es besser. Schmale Pfade durch den Wald, an Ab-

hängen vorüber, und immer wieder mehr oder weniger

unverhofft der freie Blick über das Nahetal, wobei

die Kulisse allerdings in erster Linie aus Bäumen und

Häusern besteht.

 

Plötzlich donnert es drei- oder viermal kurz hinter-

einander. Von diesem Moment an schlage ich ein

Tempo an, das mit Wandern nicht mehr viel zu tun hat.

Von Zeit zu Zeit falle ich sogar in einen leichten

Trab, immer den Himmel im Blick.

Das Naturschutzgebiet Altenberg  zieht an mir vorüber,

als säße ich in einem fahrenden Zug. Felshänge, wild

wuchernde Pflanzen, Felshänge, wild wuchernde Pflan-

zen, Felshänge…

 

Ich bewege mich nun wieder in Richtung meines Aus-

gangspunktes. Auf einem Schild lese ich die Entfernungs-

angabe Idar-Oberstein 2,8 Kilometer. Ich laufe – und

damit meine ich wirklich: ich l a u f e – über einen

naturbelassenen Pfad, was im Klartext bedeutet, dass ich

bei jedem Schritt aufpassen muss, nicht umzuknicken.

Den Wunsch, auf dem Kopf zu gehen wie Büchners Lenz

bei seiner Wanderung durch die Vogesen, verspüre ich

natürlich dennoch nicht, aber selten war ich näher daran,

ihn nachvollziehen zu können.

 

Die Sonne kommt wieder hervor und ich drossele mein

Tempo auf zügiges Gehen.

Ich steige eine eigenartig aussehende Treppe mit schma-

len Stufen hinunter, komme dann an einer Streuobstweise

vorüber, und an Sinnenbänken, die den Eindruck er-

wecken, als müsse man mit einem Bandscheibenvorfall

rechnen, wenn man sie in Anspruch nähme.

Dann habe ich es fast schon geschafft.

 

In der Hütte am Schlossweiher wechsle ich meine völ-

lig durchnässte Kleidung und fühle mich danach we-

nigstens wieder wie ein Mensch.

IMG_0366An der Burg Bosselstein vorüber, mit einem Blick

schräg nach oben auf Schloss Oberstein, trotte

ich dann in die Fußgängerzone hinunter.

 

5 Comments

  • Rote Ernte

    Du schreibst toll. Aber auch wenn der Inhalt in Deinem Blog offensichtlich das Wichtigste ist, die GPS-Tracks gehören dazu! Just my two cents.

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Die Felsenkirche mit ihrer Sage ähnelt sehr der von Ida von Toggenburg (ganz in meiner Nähe) nur ist es hier eine Frau die aus Jähzorn aus dem Fenster geworfen wird. Schade hast du kein Bild von der Felsenkirche im Blog, sie liegt ja so schön. Ja, ich habe die Aufnahme in „die Touren in Bildern“ gesehen, und ja, es hat nicht für alle Bilder im Blog genügend Platz. Der Bericht hat mir sehr gut gefallen, und ich hoffe, dass bei der nächsten Wanderung das Wetter besser ist.

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