Wandertouren

TOUR 118 – VON SOLNHOFEN NACH DOLLNSTEIN

Der Tag liegt vor uns wie ein weites Meer voll unbekannter Dinge.
Vom ersten Schritt an werden wir zu Ausschau nach Neuem haltenden Entdeckern, wir wandern von Punkt zu Punkt und denken sozusagen von Blick zu Blick, und die Landschaft, die Wege, alles um uns herum, wandelt sich lediglich in dem Maße, das wir selbst mit dem Gehen vorgeben. In erster Linie also  durch die dem Gehen grundsätzlich zugehörige Langsamkeit. Wir können alles im Detail erkunden, wenn wir wollen, unsere Blicke in den hintersten Winkel schicken, wir könnten aber auch, wenn uns danach wäre, die Landschaft sich selbst überlassen und blicklos durch die Gegend marschieren.
Aber dazu sind wir schließlich nicht ins Altmühltal gekommen.
Wir wollen schauen, Eindrücke sammeln, die Gegend und die Wege kennenlernen, und wie immer wird die Wanderung hinterher zu einem Teil unserer gemeinsamen Erinnerungslandschaft geworden sein.

Es ist ein sehr warmer Augusttag, an der Grenze zu südeuropäisch heiß.
Alleine die Temperaturen werden es schon verhindern, dass wir durch die Gegend jagen wie von Ghuls verfolgt.
Wir sind von Beginn an völlig entspannt.
Auf der Brücke über die Altmühl wechselt Jana von einer Straßenseite zur anderen, um die ersten Fotos zu machen. Die Wasseroberfläche zeigt keinerlei Bewegung, die Ufer sind von einer Kohorte dicht belaubter Bäume eingenommen, und alles, was man ansonsten wahrnimmt, ist Licht in verschiedenen Helligkeitsnuancen.
Am Himmel ein paar winzige Wolken, das verspricht für später völlig freie Sicht ins Land. Und das kann bei einer Wanderung, die nicht zuletzt von Fernblicken lebt, ja nur von Vorteil sein.

Unter einer gleißenden, stechenden Sonne wandern wir durch die Straßen von Solnhofen. Ein paar Radfahrer sind unterwegs, ein paar Flaneure, hier und da Jogger.
Von der Altmühl entfernen wir uns, kaum dass wir die Brücke über den Fluss hinter uns gelassen haben. Da die Wanderung auf dem Altmühltal-Panoramaweg stattfindet, liegt es nahe, dass die Altmühl auch eines der prägenden Elemente unserer Tour sein wird.
Und, kurz gesagt, das ist sie auch. Aber gerade heute ist da noch ein anderes, im Grunde sogar erheblich auffälligeres Merkmal, eines, das so sehr ins Auge springt, dass man es nicht übersehen könnte, selbst wenn man sich vorgenommen hätte, die ganze Zeit nur auf die eigene Fußspitze zu starren.
Die Kalkfelsen nämlich.

Erst einmal aber müssen wir Solnhofen hinter uns lassen, was sich als zeitraubender erweist, als wir es uns bei einem Ort von nicht einmal 2000 Einwohnern vorgestellt haben. Das liegt allerdings in erster Linie daran, dass wir zweimal unaufmerksam sind und Umwege einschlagen, durch die wir zwar Solnhofen etwas besser kennenlernen, die aber unseren Aufenthalt im Ort ganz schön in die Länge ziehen.

Der Übergang von den Ortsstraßen in die das Altmühltal begrenzenden Hügel hinein ist dann ziemlich abrupt.
Zunächst noch eine Wohnstraße, leer wie ein sternenloser Himmel, anschließend zwar immer noch Asphalt, aber bereits jenseits der Häuser. Über einen Parkplatz traben wir auf eine irgendwo am Rand versteckte Holztreppe zu, und nachdem wir diese hinabgestiegen sind, finden wir uns mit einem Mal auf einem fußbreiten Pfad wieder, der entlang einer halbsteilen Böschung verläuft, und von einem Atemzug zum nächsten sind wir Teil einer hellen, überwältigenden Weite. Hügel, einer hinter dem anderen, so dass sie aussehen wie die Wände eines Labyrinthes, eine Wiesenebene im Morgenlicht, und mittendrin irgendwo der Fluss.

Ich glaube, im allerersten Moment bin ich einfach nur überrascht.
Überrascht von der so plötzlich sich uns eröffnenden Weite, überrascht von dem wie frei in der Luft schwebenden Pfad.
Wir laufen zügig am Rand der Böschung entlang, das Gras am Wegrand ist wadenhoch und strohig, das Tal allerdings ist bis zum Rande des Blickfeldes mit sattem Grün ausgepolstert und auf der Böschung haben jede Menge Kiefern Wurzeln geschlagen.

Kurz darauf beginnen die Kalksteinfelsen. Es sind große, schroffe Ungetüme, einerseits schön in ihrer bizarren Absonderlichkeit, andererseits in Anbetracht ihres unvorstellbaren Alters menschlichen Maßstäben entrückt.
Eine ganze Weile folgt ein Felsen auf den nächsten.
Die übrige Landschaft tritt dadurch etwas in den Hintergrund, obgleich sie als Ergänzung nahezu perfekt ist und die Felsen erst so richtig in Szene setzt.

Auf einem Plateau mit kolossalem Rundumblick halten wir inne.
Unten, aber sehr schmal und beinahe peripher, die Altmühl. Daneben parzellierte Wiesen, durchtrennt von silberadrigen Wegen. In der Ferne kleine Waldflächen die Hügel hinauf und hinab. Am Ufer der Altmühl, dem halbkreisförmigen Verlauf des Flusses folgend, ein Saum grüner Laubbäume, auf den Hängen und den Felsen dagegen Einzelkämpferbäume, meist Kiefern. Und dazu natürlich die Felsen, mit der Böschung verwachsen, weiß leuchtend in der Morgensonne.
Wir könnten lange hier stehen, ohne dieses Anblicks müde zu werden.

Fürs Erste aber wandern wir jetzt wieder ins Tal hinab.
Nicht lange und wir sind zurück an der Altmühl, die wir aber nur sehr kurz zu Gesicht bekommen, genauer gesagt eine Brückenüberquerung lang.
Am Ufer eine Gruppe von Kanufahrern, die sich anschicken, ihre Kanus zu Wasser zu lassen. Ihre Rufe vernehmen wir noch, als wir längst ein gutes Stück von der Altmühl entfernt sind.

Dann sind wir im Wald.
Stapfen ohne Eile, aber stetig den Berg hinauf.
Nahezu unmerklich verflüchtigt sich ein Geräusch nach dem anderen, bis alles auf einen Vogelruf hier und da, das Rauschen der Bäume und auf unsere eigenen Stimmen reduziert ist.
Wir sind sozusagen in einen eigenen Raum eingetreten, einen Raum, der zwar zur Welt gehört, der aber zudem eine Welt für sich darstellt.

Am Ende des Anstiegs dann weites, überwältigend helles Land.
Bäume, ein paar Wolken am Himmel, Schatten auf den Wegen. Später dann Weiden, irgendwo ein paar Hügel und struppiges Gras am Wegrand.
Wir gehen langsam, dem Wald, in den unser Weg weiter vorne mündet, scheinen wir kaum näherzukommen.
Ein Wanderer überholt uns leichten Schrittes, er geht vergleichsweise schnell, und dadurch scheint es, als strebe er einem bestimmten Ziel zu, während wir beide, in unserer relativen Langsamkeit, eher wie Leute wirken, denen es gleichgültig ist, wohin die Wege sie führen.
Das trifft zwar nicht zu, denn vom ersten Schritt an lautet unser erklärtes Ziel, bis Dollnstein zu wandern und nirgendwohin sonst, aber unser Wandern ist angefüllt mit ziellosen, beiläufigen, Dingen. Dingen, die sich selbst genügen und keines Zieles und keines Zeitablaufes bedürfen. In die Landschaft schauen, kleine Umwege machen, Innehalten. Und das alles, so oft uns danach ist.

Wie nicht anders zu erwarten, wandern wir recht bald wieder ganz ins Tal hinab. Der Weg ist ein Mittelding zwischen Kies- und Wiesenpfad. Unten ein Dorf, nämlich Mörnsheim, was ganz nebenbei bedeutet, dass wir nicht mehr in Mittelfranken sind, sondern in Oberbayern.
Jenseits des Tals auf einem bewaldeten Hügel eine Burg. Deshalb können wir uns schon denken, dass es sofort wieder bergauf geht, sobald wir unten angekommen sind.

Und genauso kommt es auch.
Wir hätten zwar ganz und gar nichts dagegen, eine Zeit lang ruhig im Tal vor uns hinzuspazieren, von einem Ende zum anderen, von Horizont zu Horizont, andererseits ist am Ende des bevorstehenden Anstiegs wenigstens Waldschatten zu erwarten, was angesichts der Hitze durchaus verlockend ist.
Der Anstieg zieht sich. Erst bleibt er noch verhältnismäßig flach, aber schon nach kurzer Zeit folgen steile Treppenstufen, und nach den Treppenstufen ist noch keineswegs Schluss, sondern der Anstieg geht noch viele Minuten lang weiter, bis wir endlich auf Höhe der Burg angelangt sind.

Die Umgebung hat jetzt etwas von einer zum Leben erwachten Urlaubs-Postkarte.
Das Tal, eingefasst von den geschwungenen Linien bewaldeter Hügel, entzieht sich weit vorne unseren Blicken, aber durch die sommerliche Helligkeit wirkt selbst das Ferne nah.
Aus dem Dorf dringt kein Laut zu uns herauf. Auch um uns herum überwindet kaum etwas die Schwelle zu einem vernehmlichen Geräusch.

An der erwähnten Burg vorüber wandern wir in den Wald hinein, der diesmal aber nur eine kurze Episode darstellt.
Wenig später hocken wir eine geschlagene Stunde lang auf einer Bank irgendwo im Niemandsland. Wenn nicht die langsam wandernden Schatten der Bäume wären, könnte man annehmen, die Landschaft sei diese eine Stunde lang zu einem Gemälde erstarrt.
Minute um Minute scheint sich nichts zu regen, nicht mal ein Hauch von Wind ist zu spüren.
Hier ließe es sich aushalten, bis wir selbst zu Schatten würden, aber irgendwann nehmen wir die Wanderung natürlich wieder auf.

Von nun an marschieren wir meistens durch die pralle Sonne. Eine Art Halbkreis schlagend, gelangen wir wieder an die Altmühl, und zwar gar nicht so weit entfernt von Mörnsheim, dem Dorf also, das wir zuvor durchquert hatten.
Jana sichtet eine Skulptur am Wegrand mit der Aufschrift „Archaeopteryx-Fundort“.
Wir versuchen gar nicht erst, es uns vorzustellen, aber zu der Zeit, in welcher hier solche Urvögel gelebt haben, war diese Gegend eine Lagunenlandschaft.
Solnhofen und Umgebung sind weithin bekannt für Fossilienfunde. Verschiedene Pflanzen, Korallen, Reptilien, Weichtiere usw., die Liste der hierherum entdeckten Überreste ist sehr lang.

Die Felsen beginnen nun wieder, erst noch als ferne Kulisse, dann sind sie wieder unmittelbar neben uns, wie eingearbeitet in die Böschungen. Nicht lange jedoch und sie rücken wieder in den Hintergrund, als sichtbare Scharten in den Hügeln, während anderes sich in den Vordergrund schiebt. An einer phänomenalen Linde vorüber laufen wir auf Dollnstein zu, aus der Stille zurück in die Geräuschkulisse belebter Dorfstraßen.
Einen Abglanz der Stille dieser Wanderung tragen wir jedoch immer noch mit uns, wie den Teil eines Traums, an den wir uns rudimentär erinnern.

In Dollnstein überqueren wir zum vierten Mal für heute die Altmühl. Wengleich wir bis zum Bahnhof noch ein kleines Stück zu gehen haben, ist das so etwas wie der Abschluss der Wanderung.
Es ist Nachmittag und noch immer, wie von Beginn an, ein heißer, heller Sommertag. Und bis aus den papierdünnen Schatten in den Nischen und Winkeln endlich kühle, kompakte Dämmerschatten werden, wird es noch einige Stunden dauern.

3 Comments

  • Jana

    Ein wunderbarer Text wieder zu unserer Wanderung, lieber Torsten! Auf diese Etappe des Altmühltal-Panoramaweges hatte ich mich ja besonders gefreut, und zwar wegen der imposanten Kalkfelsen. Keine Frage – die Erwartungen wurden mehr als übertroffen: schmale Pfade, schroffe Felsen, herrliche Weitblicke … Das war reines Genusswandern. Ich hoffe sehr, dass wir noch weitere Etappen auf dem Altmühltal-Panoramaweg zurücklegen werden.

    Liebe Grüße
    Jana

    • Torsten Wirschum

      Ja, liebe Jana, es war eine klasse Entscheidung, dass wir im Altmühltal gewandert sind. Letztlich kann man ja aus jeder Wanderung ein Gehetze machen, wenn man es drauf anlegt, aber gerade in dieser ruhigen, beeindruckenden Landschaft wäre das völlig fehl am Platze gewesen. Mal sehen, ob wir noch mal hinkommen, lohnenswert wäre es ganz bestimmt.:-)

      Liebe Grüße
      Torsten

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