TOUR 14 – NEUSTADT/WEINSTR.: BHF – HOHFELS – WEINBIET – BHF
Wieder einmal muss ich kurzfristig meine Pläne
ändern und aus der geplanten Städtetour nach
Karlsruhe wird nach einigem Überlegen und
Verwerfen schließlich eine Wandertour mit Start
am Bahnhof in Neustadt an der Weinstraße.
Auf dem ersten Abschnitt der Strecke bis zur
Ruine Wolfsburg wird mich ein Freund begleiten.
Den Rest der fast 20 Kilometer langen Wanderung,
die buchstäblich über Stock und vor allem Stein
führt, werde ich dann alleine zurücklegen.
Als ich in Neustadt die Treppe vom Bahnsteig zur
Unterführung hinuntersteige, sprintet gleich mal
eine Gruppe von Seniorenwanderern an mir vorüber.
Ich habe es zunächst nicht ganz so eilig. In aller
Ruhe trotte ich vom Bahnhof zur Fußgängerzone,
unserem Treffpunkt.
Man kann nicht gerade sagen, dass sich der Himmel
über Neustadt für meine Ankunft auf Hochglanz po-
liert hat. Eine ganze Flotte großer dunkler Wolkentanker
pflügt darüber hin, aber noch regnet es nicht.
Es ist zehn Uhr morgens.
Die Fußgängerzone ist so leer, dass sie für Leute, die
Menschenansammlungen hassen, fast so etwas wie ein
Paradies wäre.
Einen besseren, übersichtlicheren Treffpunkt hätten wir
gar nicht ausmachen können.
Wir hocken uns zunächst in ein Café und können von
dort aus den minütlich dunkler werdenden Himmel beob-
achten.
Als wir schließlich aufbrechen, tröpfelt es, hört aber fast
sofort wieder auf.
Von der fast menschenleeren Hauptader
der Fußgängerzone biegen wir in eine voll-
kommen menschenleere Seitengasse ein.
Wenig später entdecken wir dann auch bereits
das rotweiße Wandersymbol des Pfälzer Wein-
steigs, das bis kurz vor Ende der Tour mein Weg-
weiser sein wird.
Es geht hinauf, hinauf, hinauf.
Erst den Haardter Treppenweg und zur Welsch-
terrasse, dann einen Pflasterweg mit Blick nach
unten auf die Stadt und mit Blick nach oben
auf das Haardter Schloss.
Dass es so rasch aufgehört hat zu regnen, erweist sich
als Scheinlösung, als aufschiebendes, uns in trügerische
Sicherheit wiegendes Intermezzo vor der endgültigen
Katastrophe.
Es fängt nämlich sehr bald wieder an zu regnen und von
diesem Augenblick an wird es keine Sekunde mehr auf-
hören, es wird regnen und regnen, bis ich einige Stun-
den später wieder in den Zug steige.
Der Deidesheimer Tempel, benannt nach
einem Weingutbesitzer aus dem 19. Jahr-
hundert, ist die erste Station, an der wir eine
kurze Rast einlegen.
Als wir weitergehen, überholen wir einen älteren
Wanderer, mit dem wir kurz ein paar Worte
wechseln. Er ist allerdings nicht zur Wolfsburg
unterwegs und nach ungefähr hundert Metern
trennen sich unsere Wege auch schon wieder.
Über Kopfsteinpflaster geht es in den Wald hinein.
Irgendwie bringt es der Regen mit sich, dass wir un-
sere Schritte beschleunigen.
Ziemlich rasch erreichen wir die Scheffelwarte, ein
Denkmal aus Sandstein mit dem Konterfei des
Dichters Viktor Scheffel und einem Spruch, in
dem „überwallts“ und „Pfalz“ den Reim darstel-
len.
Mittlerweile hat es sich richtig eingeregnet. Diesen
Regen, das ahnen auch wir jetzt, wird in den
nächsten Stunden nichts stoppen.
Und der Pfad erfreut uns auch nicht gerade mit
einem angenehmen Anblick. Es sieht aus, als hätte
eine Bombe eingeschlagen. Ein Tohuwabohu aus
Steinen, Ästen, zerfetzten Baumstämmen, aus
Wurzeln und aufgewühlter Erde.
Wären wir Außerirdische auf einer Mission, dann
würden wir jetzt an unseren Heimatstern ver-
mutlich so etwas wie „nur bedingt bewohnbarer
Planet“ melden.
Immerhin geht es bergab, was allerdings auch
wieder einen Nachteil hat. Wir bewegen uns da-
durch nämlich auf den ununterbrochen präsenten
Stadtlärm zu, statt von ihm weg.
Dann endlich einmal eine lange, lange tischebene
Passage.
Am Rande des Weges von Zeit zu Zeit ein Felsblock.
Am Wolfsburgbrunnen vorüber erreichen
wir schließlich unser Etappenziel, die
Ruine Wolfsburg.
Ich weiß nicht, was zuerst da ist: Das
Blöken der Schafe oder doch der
penetrante Geruch, der in der Luft
liegt und der umso penetranter wird,
je näher wir der Ruine kommen.
Überall auf dem Weg liegt Schaf-
mist herum, der das Seine zu dem Geruch beiträgt.
Die Ruine erweckt den Eindruck, als hätte sie selbst
als Ruine schon bessere Tage gesehen: Fenster wie leere
Augenhöhlen, schwärzliches Gemäuer,
Wir befinden uns hoch oben über Neustadt. Wind streicht
über das Plateau, auf dem die Ruine liegt, hinweg.
Ein Mann, vermutlich der Schäfer, steht in einiger Ent-
fernung und blickt ins Tal hinab.
Von hier an setze ich nun also meinen Weg allein fort.
Ich stapfe einen schmalen Saum hinauf, unmittelbar
an der Ruine entlang, dann passiere ich ein altes,
verbogenes Eisentor.
Und zugleich durchschreite ich damit das Tor zu einer
anderen Welt.
Und egal, was noch kommen wird, egal, was vorher
war, diese Passage allein wäre die Wanderung wert.
Erst ein steiniger Pfad zwischen Büschen
hindurch. Dann ein von Bäumen bewachsener
Felsen. Kurz darauf ein zweiter Felsen, viel
größer, viel höher als der erste.
Ein kurzer Steinpfad.
Und wieder ein Felsen und dahinter ein weiterer.
Ich muss mich an einer Metallstange hinauf-
hangeln, vorsichtig über vom Regen glitschiges
Gestein balancieren.
Es geht immer höher empor.
Felsen auf Felsen folgt.
Kaum denke ich, es ist vorbei, kommt doch wieder
einer.
Steinerne Stufen, Felsengewirr, ein
pfadloser Weg. Dann aber doch
wieder ein Pfad, schmal zwischen
einem Felsen und einem Baum sich
windend. Und immer noch höher
hinauf. Mitunter ein bizarres
Wurzelgeflecht.
Karges Gehölz.
Und wieder ein Felsen.
Ich hätte sie zählen sollen, aber daran
denke ich natürlich überhaupt nicht.
Ich staune und schaue und klettere.
Mit so etwas habe ich wahrlich nicht
gerechnet. In der Nacht werde ich wohl
von Felsen träumen.
Dann – irgendwann – ist es vorüber.
Ich marschiere nun über eine flache Steinpiste. Die
Pflanzen am Wegrand würden eine gute Kulisse für
einen Film abgeben, in dem sich ein Verdurstender
durch eine wasserlose Steppe dahinschleppt.
Ich erreiche ein Plateau mit Bank und schaue hinab auf
verlassene, regenöde Straßen.
Aus dem Tal steigt weißer Dunst empor.
Ein paar Minuten lang lasse ich mir den Wind um die
Nase wehen, dann marschiere ich weiter.
Ich nehme nun richtig Tempo auf, denn in der Felsen-
passage habe ich eine Menge Zeit zugebracht.
Endlich laufe ich mal einen breiten Waldweg entlang.
Das ist zwar einerseits eine willkommene Ab-
wechslung, andererseits biete ich dem Regen damit
eine gute Angriffsfläche.
Zwei Wanderer kommen mir wie Gespenster aus dem
Regenschleier entgegen.
Wir grinsen uns an, froh, anderen Verrückten zu begeg-
nen, die bei diesem Wetter hier oben unterwegs sind.
Einen von Steinen und riesigen Wurzeln durchfurchten
Weg hinauf gelange ich auf einen schnurgeraden Pfad,
der zum Weinbiet führt, einer der höchsten Erhebungen
des Pfälzer Waldes.
Schon wieder Wanderer. Drei Frauen. Zunächst sind sie
mehrere hundert Meter vor mir, aber sie gehen so lang-
sam und ich so schnell, dass ich sie bis zum Weinbiet
eingeholt habe.
In Anbetracht des Wetters verzichte
ich darauf, auf den Aussichtsturm
hinaufzusteigen, denn ich würde
ja doch im Großen und Ganzen nichts
anderes sehen als das, was ich schon
die ganze Zeit gesehen habe: Einen
Himmel, aus dem Regen fällt, und eine
Landschaft, die den Regen abbe-
kommt.
Mit dem Weinbiet habe ich endlich den höchsten
Punkt der Strecke überwunden.
Es geht nun lange, lange, lange bergab, immer
tiefer in einen immer dunkleren Wald hinein.
Irgendwann erreiche ich das Forsthaus Benjental und
von da an wird der Weg eher zu einem Spazierweg für
Anwohner.
An der Neumühle herrscht Betrieb.
Gelächter, Gegröle.
Ein Mann und eine Frau kommen mir rauchend und
„La Paloma“ singend entgegen.
Ich dagegen stapfe wieder in den Wald hinein.
An dieser Stelle verlasse ich den Pfälzer Weinsteig
und prompt gerate ich auf einen Irrweg.
Ich merke es erst nach einiger Zeit. Aber ich habe
Glück.
Der Irrpfad, auf dem ich mich befinde, vereinigt sich
nach einiger Zeit wieder mit dem Pfad, auf dem ich
hätte bleiben müssen.
Dann ein Wohngebiet.
Noch ein kurzer Anstieg, an dessen Ende mich ein
anderer Wanderer nach einem Ort fragt, den ich noch
nie gehört habe. Ich kann ihm leider nicht helfen.
Der Regen hat seit einiger Zeit das Katzen-und-Hunde-
Stadium erreicht.
Es ist genug.
Ich verlasse den Wald und stapfe nach Haardt hinunter.
Ein Mann, der seinen Hund ausführt, erklärt
mir haarklein, wie ich von hier aus zum
Bahnhof nach Neustadt komme.
Seine Beschreibung erweist sich als hundert-
prozentig richtig, so dass aus den ohnehin schon
knapp 20 Kilometern, die ich gewandert bin,
glücklicherweise nicht noch mehr werden.
4 Comments
Sylban 70
Nach welchem Wanderzeichen richtet man sich denn da eigentlich die ganze Zeit?
gorm
Hi, die meiste Zeit ist es das Symbol des Pfälzer Weinsteigs, ein rot-weißes Emblem. Ab der Neumühle ist es dann ein weiß-roter Balken. Die Beschilderung ist insgesamt vollkommen zufriedenstellend. Schon in Neustadt selbst hat man keine Schwierigkeiten, dem Symbol zu folgen.
Ursula Dahinden-Florinett
Ja, die Seniorenwanderer sind immer und überall anzutreffen. Wer hat schon soviel Zeit! Regen, ein oft treuer Begleiter deiner Wanderungen, heute andauernd, vielleicht wenigstens windstill. Die Regenbeschreibung ist so anschaulich, dass ich bald das Gefühl hatte selber nass zu sein. Felsen, Felsen, auf Bild 12 , schauen sie wie Schwefelfelsen aus. Ist das einfach der Lichteinfall?
Eine Wanderung gekonnt in einer kurzweiligen, ausdrucksvoller Sprache erzählt.
gorm
Also bei dieser Wanderung war der Regen richtig heftig. Er war nicht nur dauerhaft, sondern so stark, dass man zeitweise kaum die Hand vor Augen sah. Eine richtige Regenwanderung kommt noch, Tour 16.:-)