Wandertouren

TOUR 20 – PREMIUMWEG „BECKINGER SAARBLICKE“

Bereits vor dieser Tour ist eine wichtige Entscheidung gefallen: Im April nächsten Jahres werde ich meine Ankündigung wahrmachen und den 830, nach anderen Angaben über 900 Kilometer langen Fränkischen Marienweg in Angriff nehmen. Mir schwebt vor, das Ganze in 5 x 5 Etappen hinter mich zu bringen, vielleicht auch in 5 x 6. Ein wenig Flexibilität muss ich mir da gestatten. Für die erste Sequenz im April habe ich ca. 160 Kilometer vorgesehen. Die zweite Sequenz soll dann im Mai oder im Juni folgen.

Hätte mir das vor einem Jahr jemand prophezeit, ich hätte ihm empfohlen, seinen Geisteszustand überprüfen zu lassen. Damals hätte ich es für wahrscheinlicher gehalten, mich freiwillig zu einer Marsmission zu melden als allen Ernstes eine fast 1000 Kilometer lange Strecke zu Fuß zurückzulegen, wenn auch in mehreren, zeitlich deutlich voneinander getrennten Blöcken.

Jede einzelne Wanderung ist natürlich einerseits ein abgeschlossenes, für sich selbst stehendes Ereignis, von nun an jedoch ist alles irgendwie auch Training für das große Ziel.

Vielleicht zum ersten Mal überhaupt habe ich heute keine Vorstellung von dem, was mich erwartet. Und zwar wirklich gar keine. Ob es sich um eine schwierige oder eher leichte Strecke handelt, ob es viele Waldpassagen gibt, ob mir das eine oder andere Highlight geboten wird – ich habe null Ahnung. Ich marschiere einfach ins Ungewisse hinein.

Zu Beginn – oder eigentlich sogar noch vor dem Beginn – erwartet mich dann auch eine Überraschung. Ich sehe das Wegesymbol bereits vom Zug aus! Das habe ich ja noch nie erlebt.
Kaum bin ich aus dem Zug gestiegen, bin ich buchstäblich auch schon auf der Strecke unterwegs.

An einem dem Verfall preisgegebenen, von Pflanzen umwucherten, uralten Gebäude vorüber stapfe ich in einen leuchtenden, windigen Oktobertag hinein.
Zweite Überraschung: Ehe ich dazu komme, mich ein wenig an die Gegebenheiten zu gewöhnen, ja, ehe ich überhaupt auch nur einen klaren Gedanken fassen kann, bin ich auch schon dabei, steile Holzstiegen hinaufzusteigen. Immer mehr Holzstiegen, wie ein umgekippter Dominopfad, nur bergauf.

Insgesamt sind es mehr als 250 Stufen, mit ein paar Unterbrechungen allerdings.
Die Stiegen lassen sich ziemlich rhythmisch bewältigen. Meistens entspricht eine Stufe auch genau einem Schritt, nur manchmal ist ein Zwischenschritt notwendig, aber das tut dem Rhythmus keinen Abbruch.

An einem wuchtigen Ungetüm von Bunker vorüber darf ich mich dann zum ersten Mal auf schmalem Pfad bergab bewegen. Dann aber doch wieder…Holzstiegen, nun aber wirklich zum letzten Mal.
Als ich aus dem Wald trete, muss ich feststellen, dass sich die Sonne mittlerweile verflüchtigt hat. Ich weiß nicht, was grauer ist – der Himmel oder der Asphalt, über den ich nun für ein paar hundert Meter dahintrotte.

Kurz darauf folgt ein recht steiler Wiesenpfad mit Obstbäumen links und rechts, und zum ersten Mal komme ich auch in den Genuss eines ganz netten Panoramablicks – ein Dorf, eingebettet zwischen bewaldeten Hügeln.
Ich darf den Blick nur nicht zu weit nach rechts abschweifen lassen. Dort nämlich sehe ich einen dichten Rauch speienden Meiler.

A propos Meiler.
Wenig später erreiche ich eine Stelle, an der ein alter Kohlenmeiler wieder aufgebaut worden ist. Ich würde mir ja gerne die dazu gehörenden Informationen durchlesen, aber von irgendwoher dringt ein übles Kettensägengedröhne an mein Ohr.
Als ich weitergehe, stelle ich fest, dass es von der Terrasse eines Gasthofes kommt, an dem mich mein Weg vorüberführt und auf der irgendwelche Renovierungsarbeiten im Gange sind.

Ich wandere in den lichten Herbstwald hinein.
Der Lärm verflüchtigt sich und weicht einer fast vollkommenen Stille.
Nur der Wind und ein paar Vögel sind zu hören.
Am Wegesrand erblicke ich von Zeit zu Zeit einen historischen Grenzstein.

Der Wohlfühlfaktor nimmt nun stetig weiter zu.
Auf einem Pfad zwischen Wald und einigen Weiden kann ich den Blick weit in die Ferne richten.
Sonnenstrahlen durchstoßen wie Dolche die Wolkendecke.
Atmen.
Verharren.
Die Ruhe in sich wachsen spüren.
Da-Sein.

Dann ein Pfad durch eine kleine Schlucht hinab. Ich fühle mich beinahe wie auf einer Rodelbahn. Und ich komme auch fast so rasch voran, als befände ich mich auf einer. Es ist ein Gehen wie in einer Zwischenwelt.
Die besten Passagen beim Wandern sind oft jene, in denen ich weder ans Ankommen noch an irgendein nahes oder fernes Ziel denke, sondern einfach nur unterwegs bin, Schritt für Schritt, im Einklang mit mir selbst und so ziemlich allen Dingen auf der Welt. Und das ist in dieser Schlucht der Fall.

Auf den ersten sechs Kilometern lässt diese Tour im Rahmen dessen, was man erwarten kann, keine Wünsche offen.
Ab Kilometer sechs kommt dann allerdings etwas zu häufig die Komponente Straßenlärm hinzu.
Dafür gibt es von ein paar winzigen Ausnahmen abgesehen keine Anstiege mehr. Das hat auch was für sich.

Ich passiere ein weiteres Mal eine alte Bunkeranlage, überquere eine Landstraße, dann stapfe ich an einer Kompostieranlage vorüber.
Auf einem Parkplatz fängt eine Frau in einem roten Renault Clio plötzlich an zu hupen. Der Hupton könnte Tote aufwecken. Als sie sieht, dass ich zu ihr hinschaue, hört sie abrupt auf.
Dann schon wieder eine Landstraße. Und es ist nicht die letzte, leider.

Erst aber gibt es mal wieder Wald. Ziemlich viel Wald sogar. Ein paar gewundene Pfade, hernach ein breiter Weg, schließlich eine Art Buckelpiste mit ständigen Richtungswechseln.
Also abwechslungsreich ist die Strecke jedenfalls.

Auf die paar hundert Meter entlang der Landstraße, auf der mir die LKWs fast über die Füße fahren, hätte ich allerdings verzichten können.
Andererseits – auch das sind brauchbare Erfahrungen. Auf dem Marienweg werde ich sicher nicht nur durch idyllische Landschaften wandeln.
Ständig alles in gut und schlecht zu unterteilen, sich über dies und jenes aufzuregen, so funktioniert das nicht. Sondern? Ganz einfach: Alles kann von Bedeutung sein, kann mir etwas geben. Ich muss es mir zumindest erst einmal unbefangen und unvoreingenommen betrachten.

An einem Weiher, an dessen Ufer in regelmäßigen Abständen Bänke aufgestellt sind, lege ich die einzige längere Rast auf dieser Tour ein.
Danach stiefele ich ein paar Minuten am Saarufer entlang.
Die Sonne hat inzwischen bedingungslos kapituliert. Wolken jagen über den Himmel. Der Herbstwind wirbelt die Blätter über den Asphalt. Aber ich bin auch schon fast am Ziel.

Zum Abschluss hat die Strecke dann mit den Skulpturen im Saargarten noch ein kleines Highlight parat. Ich kann sie mir ausgiebig ansehen, denn ich habe noch fast eine Stunde Zeit, bis mein Zug fährt.

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