Wandertouren

TOUR 10 – KUSEL: BAHNHOF – BURG LICHTENBERG – BAHNHOF

Am Morgen, nach einer beinahe schlaflosen Nacht, fühle ich mich zunächst, als hätte ich seit dem Urknall kein Auge mehr zugetan. Als Maßeinheit für die Geschwindigkeit, mit der ich mich bewege, reicht Meter pro Minute locker aus. Die frische Luft draußen bringt mich jedoch bald auf Trab.

Bei meiner Ankunft in Kusel erwartet mich ein Postkartenfirmament. Selbst wenn man kurz die Augen schließt, ist es noch so hell, als würde man in einer zerplatzten Kugel aus reinem Licht stehen.
Ich habe bei meinen Wanderungen der letzten Wochen so viele Orte gesehen, über denen der Blues lag, dass ich nichts gegen diese Abwechslung einzuwenden habe.

Allerdings habe ich bereits während der gut zweistündigen Zugfahrt die Hälfte meiner Wasservorräte aufgebraucht und muss in einem Geschäft am Bahnhof nachrüsten.
Nachdem dies geschehen ist, gehe ich erst einmal in die Irre.
Der Freund, mit dem ich verabredet bin, hat mir zwar eine genaue Wegbeschreibung gegeben, wie ich vom Bahnhof aus zu dem Parkplatz, bei dem wir uns treffen wollen, zu gehen habe, aber ein gewisser Interpretationsspielraum scheint trotz allem vorhanden zu sein.

Ich frage eine ältere Frau nach dem Weg. Aus dieser Frage entsteht ein ungefähr 20-minütiges Gespräch und danach kenne ich nicht nur den Weg zu dem gesuchten Parkplatz, sondern die gesamte Strecke bis zur Burg Lichtenberg, und zwar so gut, als würde ich mich an den Bildern einer in mein Gehirn eingepflanzten Kamera orientieren.

Den Parkplatz habe ich rasch gefunden und dann machen wir uns zu zweit auf in Richtung Burg.
Wenn unsere Rucksäcke und andere Wanderutensilien uns nicht das Gefühl gäben, uns auf einer Wanderung zu befinden, würden wir den Weg zunächst wohl kaum als richtige Wanderstrecke ansehen.
Jogger, Radfahrer, Mütter mit Kinderwagen, dazu die nahen Stadtgeräusche – zu Beginn wirkt es eher so, als hätten wir mal kurz in der Mittagspause beschlossen, einen kleinen Spaziergang durch den Stadtwald zu machen.

Meistens halten wir uns im Schatten, immer wieder aber durchschreiten wir Kaskaden grellen Lichtes oder schräg einfallende Lichtbündel.
Der Weg ist so breit und eben und meist auch so schnurgerade, dass wir wie von selbst in ein ziemlich rasches, nichtsdestotrotz aber völlig unangestrengtes Gehen hineinfinden.
Dass sich das noch ändern wird, ist abzusehen, denn die Burg Lichtenberg liegt hoch oben auf einem bewaldeten Hügel.

„Von einem Ort aufbrechen, auf dem Weg zu einem anderen sein…“ – diese Worte des amerikanischen Transzendentalisten Henry David Thoreau bezogen sich zwar nicht auf das Gehen oder Wandern, lassen sich aber sehr gut darauf anwenden.
Sie beschreiben einerseits den bloßen Vorgang, deuten zugleich aber auch eine verborgene, tiefere Bedeutung an.
Ich will das Gehen nicht mit Bedeutung überfrachten.
Es ist nicht so, dass sich plötzlich unfassbar grandiose Gedanken einstellen, die Tore zu einem neuen Bewusstsein aufgestoßen werden oder Erkenntnisblitz nach Erkenntnisblitz einschlägt.
Aber soweit es mich selbst betrifft, kann ich sagen, dass im Laufe der letzten Wochen ein Prozess eingesetzt hat, für den Klarheit, Gerichtetheit, Entspannung keine ganz falschen Begriffe sind.

Kilometer um Kilometer stapfen wir diese Jogger- und Radpiste entlang, dann biegen wir auf eine steile Dorfstraße ab.
Beinahe unmittelbar hinter dem letzten Haus führt ein schmaler, steiler Pfad zur Burg hinauf, die wir von hier aus bereits sehen können. Wir drosseln unser Tempo ein wenig, nicht, weil die Passage so schwierig wäre, sondern weil wir zum ersten Mal das Gefühl haben, wirklich zu wandern.
Die Sonne scheint warm zwischen den Bäumen hindurch und zeichnet stetig sich verändernde Lichtflecke und Schattenumrisse auf den Waldboden.

Dann taucht auch schon die Burg vor uns auf.
Es ist nicht allzu viel los. Auf dem Parkplatz stehen nur wenige Autos. Ein einsamer Wanderer hat sich im Schatten niedergelassen und beobachtet die Szenerie.
Aber wir hören Kindergeschrei.
Wir durchschreiten das Tor und sehen Gruppen von Grundschulkindern hin und her rasen.
Im hinteren Teil der Burg ist es erheblich ruhiger. Nur eine lesende Frau auf einer Bank, sonst sehen wir niemanden.

Burg Lichtenberg, so ist verschiedenen Quellen zu entnehmen, ist die längste Burgruine Deutschlands. 425 Meter, also praktisch eine Stadionrunde.
Nicht dass man sich verlaufen könnte, aber bei dieser Ausdehnung kommt beim Hin-und-Her-Gehen doch schon der eine oder andere Kilometer zusammen.
Vom Rande der Burgmauer aus können wir weit übers Land schauen.
Wolken wie zerfasernde Wattebäusche am lichtblauen Himmel. Fast am Rande des Blickfeldes, im Gegenlicht besonders skurril aussehend, ein paar Windräder. Äcker, Felder, Wiesen. Dazwischen wie sich windende Schlangen vereinzelte Wege.

Wir sehen uns ziemlich lange auf dem Burggelände um und besuchen dann auch noch das Urweltmuseum-Geoskop mit seiner Sammlung von versteinerten Tieren und Pflanzen.
Danach machen wir uns auf den Weg zurück nach Kusel, wobei wir eine andere Strecke wählen als auf dem Hinweg.
Über einen Wiesenpfad und an Weizenfeldern vorüber trotten wir in gemächlichem Tempo dahin. Der heiße Sommertag scheint sämtliche Geräusche zu verschlucken.

Da es fast nur bergab geht, kommen wir gut voran.
Quer über eine Wiese marschierend erreichen wir die steile Dorfstraße, die wir ein paar Stunden zuvor hinaufgewandert sind, und kurz darauf befinden wir uns auch schon wieder auf der Joggerpiste, die nach Kusel zurückführt.

3 Comments

  • Fuchsjohann

    War vor einigen Jahren auch mal auf dieser Burg. Ist mir als schönes Erlebnis in Erinnerung geblieben. Gibt es dort nicht sogar eine Jugendherberge?

    • gorm

      Hi,
      ja, gibt es. Und direkt hinter dem Eingang sogar ein Standesamt.:-) Und zwei Museen. Und ein Restaurant. Die Anlage ist eben recht weitläufig.

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Wenn man deine Wanderungen sorgfältig liest, so findet man doch immer etwas zum „Googeln“
    Das macht ja die Touren noch zusätzlich spannend. Dein darauffolgender Satz gefällt mir besonders gut.
    Es ist auch schön, scheint einmal bei deinen Wanderungen die Sonne, was du mit schönen, genauen Worten beschreibst.
    Deine Fotos von der Burg Lichtenberg laden ein zum Durchstreifen des Grundstückes.
    Eine schöne Wanderung!

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert