Wandertouren

TOUR 4 – NOHFELDEN: BAHNHOF – BURG – „BÄRENPFAD“ – BAHNHOF

Der Tag beginnt mit einer Schnittwunde. Beim Packen des Rucksacks greife ich in eine vergessene Schere und bezahle für diese Fahrlässigkeit mit einem niederträchtigen, übel blutenden Schnitt am rechten Zeigefinger.
Ärgerlicherweise wirft dies – soll man es Malheur oder Dummheit nennen – meine Zeitplanung über den Haufen und ich fahre eine Stunde später als vorgesehen los.

Es ist später Vormittag, als ich in Nohfelden aus dem Zug steige. Ich bin nicht nur der einzige Fahrgast, der aussteigt, sondern ich war – außer dem Lokführer – der einzige Mensch, der sich überhaupt noch in dem Zug aufgehalten hat. Selbst der Schaffner hat ihn eine Station zuvor verlassen.
Ich schaue kurz dem entschwindenden Zug hinterher, der noch eine allerletzte Station anzufahren hat, und dann verschaffe ich mir erst einmal einen groben Überblick.
Eines steht sofort fest – als Philip Marlowe oder Sherlock Holmes befände ich mich hier an einem denkbar ungünstigen Ort, denn im Verborgenen wirken, unerkannt kommen, unerkannt gehen, das kann man hier vergessen.

Ich mache mich auf in Richtung Ortskern. Schon nach wenigen Schritten sehe ich die Burg. Ich spüre eine gewisse Erleichterung. Auf Suchen und auf Verirren habe ich heute nämlich noch weniger Lust als auf Skorpione im Schuh.
Und es geht gleich gut weiter, denn kurze Zeit später entdecke ich ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Bärenpfad“.

Der erste Dämpfer folgt jedoch sogleich. Die Burganlage ist nämlich noch geschlossen, und das, obwohl auf der Tafel an der Eingangspforte deutlich zu lesen steht, sie sei ab 8 Uhr morgens geöffnet.
Auch den Eingang zum Bärenpfad finde ich erst einmal nicht.
Ein Mann, der offenbar meine suchenden Blicke bemerkt hat, fragt mich, ob ich Orientierungshilfe benötige und zeigt mir den Weg.

Ich gehe einen Bach entlang, überquere eine Brücke und dann befinde ich mich auch schon im Wald.
Es geht steil bergan.
Auf dem Boden zwischen den lichten Bäumen tanzen helle Lichtflecke. Der Pfad ist meist so schmal, dass schon zwei Wanderer Schwierigkeiten hätten, nebeneinander herzugehen. Von Zeit zu Zeit bleibe ich stehen und blicke in den Ort hinunter.

Solowandern in einsamen Gegenden löst beinahe unweigerlich eskapistische Gedanken aus. Das ist nichts Schlimmes.
Eskapismus – vorübergehend, versteht sich – ist notwendig, um wieder gewappnet zu sein. Gewappnet für das mitunter bösartige Tier Realität.

Es geht weiter bergan.
Nicht dass ich das Bedürfnis verspürt hätte, Sicherheitshaken einzuschlagen, aber ein Dahinschweben ist es wahrlich auch nicht.

An der „Bärenhöhle“ mache ich eine kurze Pause.
Auf einem Informationsschild steht, dass es sich bei der Höhle vielleicht um einen Geheimausgang der Burg gehandelt haben könnte, vielleicht auch um ein Schmugglerversteck, vielleicht aber auch – wer hätte das gedacht – wirklich um eine Bärenhöhle.

Es geht immer noch bergan.
Glücklicherweise aber nicht mehr lange. Beim Bärenfelsen erreiche ich ein kleines Plateau und danach kommen beim Bergabgehen endlich einmal andere Muskelgruppen zum Einsatz.

Im ersten Streckenabschnitt hätten Vampire noch reelle Überlebenschancen gehabt, denn sie hätten genügend Baumschatten vorgefunden, um dem direkten Sonnenlicht zu entrinnen.
Von nun an hätten sie deutlich schlechtere Karten.

Die Tour wird abwechslungsreicher.
Immer wieder einmal verlasse ich nun das stete Lichtund Schattenspiel des Waldes, gehe zum Beispiel an einer blumenbestandenen Wiese vorüber oder marschiere über breite Waldwege.

Dann aber hat mich die Waldeinsamkeit wieder. Wobei es sich optisch an vielen Stellen durchaus um einen Wald handelt, in dem ich mir auch Eichendorffs Taugenichts auf einer Wanderung vorstellen könnte. Allerdings ist nicht selten ein Lärm zu hören, den es vor 200 Jahren nicht gegeben hat: Röhrende Maschinen und ratternde Züge beipsielsweise. Fern zwar, aber nicht fern genug, um es ausblenden zu können.

Wald, Wald, Wald.
Ab und zu ein schmaler Steg oder eine kleine Brücke über einen Bach.
Plötzlich aber öffnet sich die Landschaft zu der in dieser Gegend häufigen Wiesen-Wald-Hügel-Anordnung. Meine an feste Konturen und eng begrenzte Blickfelder gewöhnten Augen müssen sich erst einmal darauf einstellen, dass es kaum noch Fixpunkte gibt.

Ich lasse die Szenerie eine Weile auf mich wirken.
Weiße Wolkenschiffe ziehen über den Himmel hin.
Zur Linken erblicke ich einige Windräder.
Danach trotte ich eine Viertelstunde oder länger über schattenlose, einsame Wege. Es ist jetzt so still, dass ich meine Gedanken knirschen höre.
Aber sie sind ziellos, betäubt von nahezu vollkommener Entspannung.

Dann doch wieder Wald.
Blicke zwischen den Bäumen hindurch auf Wiesen, über die ein großes Lichtrad hinwegrollt.
Ein letzter steiler Abstieg und ich bin wieder zurück in Nohfelden.

Ich stelle fest, dass die Burganlage mittlerweile doch geöffnet worden ist. Genau wie in Kirkel zähle ich die Stufen zum Turm hinauf. Es sind 100, aber nach der Wanderung kommen sie mir vor wie 150 oder mehr. Ich muss an meinem Fitnesszustand arbeiten. Er ist akzeptabel, aber nicht gut.
Für heute jedoch habe ich genug Bewegung gehabt. Ich verlasse die Burg und begebe mich zum Bahnhof.

 

 

 

5 Comments

  • Mata

    Du schreibst so fließend und interessant, als würdest Du mir eine Geschichte von Angesicht zu Angesicht erzählen. Und ich sitze da und bin ganz Ohr.

    • gorm

      Die Angaben auf diversen Wanderseiten schwanken zwischen 4 und 4einhalb Stunden, aber ich habe nicht mehr als ca. 3 Stunden gebraucht, obwohl ich immer mal wieder eine Fotografierpause eingelegt habe. Mein Tempo würde ich als zügig-gezügelt bezeichnen. Die Länge der Strecke beträgt ungefähr 11 Kilometer.

  • Ursula Dahinden-Florinett

    Philipp Marlow oder Sherlock Holmes oder Eichendorff, Literatur gehört einfach zu dir Torsten.
    Die Realität auf dieser Wanderung, mit dem Anblick der grünen Wiesen, der Bärenhöhle (Schmugglerversteck wäre für mich tnteressanter), dem Wald, der Brücke, dem Wasser u.s.f. finde ich eine superschöne, erlebnisreiche Realität.
    Wieder eine fesselnd erzählte Wanderung.

    • gorm

      Das war die erste richtige Sonnentour und die Strecke an sich ist eine wirklich schöne. Ebenfalls ein Premiumwanderweg mit teilweise tollem Wald und der Burg als zusätzlichem Highlight.

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